12/23/2010

Päckchenwatch und Capgras

Obwohl ich mich diesmal wirklich frühzeitig gekümmert habe wegen Weihnachtsgeschenken, wird auch diesen Heiligmorgen das passieren, was seit etwa vier Jahren traditionell immer passiert: Ich verbringe den ganzen Vormittag in der Küche und warte darauf dass es klingelt und der DHL-Mann das eine Päckchen bringt, das noch fehlt. Was er bisher in zwei von vier Fällen tat. Es bleibt also spannend. Es gibt aber Grund zum Optimismus, habe ich doch eben gelesen, dass die Post dieses Jahr am 24. Dezember „4000 zusätzliche Paketengel“ aufbietet, die der Masse an Paketsendungen Herr werden sollen. Cool fänd ich ja, wenn sie den Paketengeln auch so gelbe Engelsflügel ankleben, aber viel Hoffnung hab ich da nicht.

Letzte Woche habe ich von einer abgefahrenen, seltenen - aber nicht extrem seltenen - Krankheit gelesen, dem Capgras-Syndrom. Das Capgras-Syndrom ist eine psychiatrische Krankheit, die sich - und das ist das faszinierende - fast variationslos in der immer selben Wahnvorstellung äußert und dabei doch ganz materialistisch einer beschädigten Gehirnregion zuzuschreiben ist. Erkrankte erliegen der Überzeugung, dass ihnen nahestehende Menschen durch Doppelgänger ersetzt wurden. Keine Ahnung, keine Vermutung - eines Tages wissen sie es einfach.

Wie jede gute Wahnvorstellung lebt auch die durch Capgras ausgelöste davon, dass sie nicht logisch widerlegbar ist. Ich meine, wer kann schon wissen dass der Mensch, der da nebenan aufwacht, der oder dieselbe ist, mit der man abends eingeschlafen ist? Wer kann schon beweisen, dass der nette Kollege, der heute die Brötchenbestellung zum ersten Mal seit drei Jahren falsch zusammengestellt hat, wirklich der nette Kollege ist, der noch gestern die korrekte Anzahl von Sesambrötchen, Mohnsternen und Zimtwuppies in der Tüte hatte? Wer kann schon zweifelsfrei feststellen, dass die Eltern, die einen am ersten Weihnachtsfeiertag strahlend begrüßen, dieselben sind, die einem noch drei Wochen zuvor die Hölle heiß gemacht hatten, weil man immer noch keine Winterreifen aufgezogen hatte.

Und irgendwie... je länger ich drüber nachdenke... hatte man nicht eh immer schon so eine Ahnung.... hatten sich zuletzt nicht auffällig viele Leute auffällig stark verändert?

Besser nicht weiter drüber nachdenken. Interessant aber, wie dieses Thema auch in Unkenntnis des Syndroms offensichtlich im kollektiven Unterbewusstsein verankert ist - wobei ich postuliere, dass man den Grad der Verankerung eines Konzepts im kollektiven Unterbewusstsein anhand der Anzahl von dessen Inszenierungen in Kunst und Popkultur messen kann. Man schaue sich zB nur mal Don Siegels Klassiker "Die Dämonischen" an, in der Menschen von außerirdischen Bohnen verschlungen und durch willenlose Duplikate ersetzt werden. Oder die wahrscheinlich beste aller 37 He-Man Kasetten, in der He-Man entführt und durch Skeletors He-Man-Roboter "Faker" ersetzt wird. (Was für eine coole Folge!) Oder die Geschehnisse nach Supermans Tod, als er von gleich vier Doppelgängern beerbt wurde, die Böses im Schilde führten (aber alle einer tragischen Fehleinschätzung der Marketingstrategie des DC Verlags erlagen, die zur Auferstehung Supermans nur wenige Wochen später dank kryptonischer Regenerationsmatrix führte). Oder einfach irgendwas von Kafka.

Das Syndrom schlägt plötzlich zu, es gibt keine längere Phase sich aufbauenden Misstrauens. Wenn Sie also eines Tages das Gefühl haben, dass der DHL-Mann, der da klingelt, gar nicht der DHL-Mann ist, der gestern geklingelt hat - nicht gleich schießen. Vielleicht ist das alles nur in ihrem Kopf. (Es sei denn, es ist einer von den "Paketengeln". Ich denke, dann ist schießen OK.)

9/11/2010

Unvermeidbar: Sarazzin oder Ecce Homo

Obwohl man den Namen Thilo Sarazzin im Moment a) nicht mehr hören kann und man b) solche in letzter Konsequenz substanzlosen Medienhypes nicht noch weiter befeuern sollte, ist mir in den Artikeln, die – zumindest – ich dazu gelesen habe, aufgefallen, dass doch zwei recht interessante Aspekte darin nicht behandelt werden. Und das, obwohl man aus diesen zwei Aspekten eine interessante, wenn auch recht misanthropische Schlussfolgerung ziehen kann.

Da ist zum einen die Tatsache, dass Sarazzins Buch bei Erscheinen ein anderes Buch von Platz #1 der Bestsellerliste verdrängt hat, welches sich im Grunde mit der selben Thematik beschäftigt: Kirsten Heises „Das Ende der Geduld“, das ich zufällig sogar gerade gelesen habe, und das sich ungleich konstruktiver, bei gleicher Direktheit und Offenheit, mit der Integrationsproblematik auseinandersetzt.

Und zum anderen, dass Sarazzin vor nicht all zu langer Zeit noch Schlagzeilen machte (und gerade von den Jubelpersern, die ihn jetzt unreflektiert zum Helden stilisieren, dafür gehasst wurde), indem er sich für eine starke Reduzierung der Arbeitslosenunterstützung stark machte, und postulierte, man könne von 4 Euro am Tag prima leben.

Was sagt uns das.

Im Grunde doch nur eins:

Der Pöbel (und hierbei seien alle Akademiker herzlich eingeschlossen) ist nur zu gerne bereit, einen konstruktiven Diskurs zugunsten wirrer Eugenik-Argumentationen aufzugeben, solange er dafür nur endlich mal wieder so richtig schön hassen kann.

Er ist nicht ansatzweise an konstruktiven Lösungsvorschlägen interessiert, solange er dafür nur endlich mal wieder so richtig schön hassen kann.

Er ist nur zu gerne bereit, zu vergessen, dass man ihm gerade noch auf zynischste Weise das Notwendigste absprechen wollte; solange er dafür nur endlich mal wieder so richtig schön hassen kann.

Damit tritt hinter dem Bedürfnis, endlich mal wieder großflächig dissen zu können, so ziemlich jedes andere Bedürfnis zurück. Und man kann es sich sogar mittels der alten "Man-muss-mal-sagen-dürfen"-Rhetorik schönreden.

8/29/2010

Expendable Inception

Als großer Filmfreund erlebte ich irgendwann den Knacks. Dieser nicht zeitlich zu verortende Moment, der wahrscheinlich gar kein Moment, sondern eine lange Phase stetiger Rezeption ist, in dem sich eine Gewissheit ins Bewusstsein frisst: Nichts wird mich mehr wirklich flashen, denn alles, was produziert wird, ist letztlich Variation, und wenn man ein genügendes Maß an Variation verschlungen hat, wird ebendiese redundant. Man erkennt die wiederkehrenden Muster und beraubt sich selbst der Faszination des Unerwarteten und gänzlich neuen, die einen als Vierzehnjährigen selbst bei Sachen wie Ghostbusters 2 noch ungläubig augenreibend in die Kinosessel presste und dem Inhalt noch Wochen später jedem, der es so gar nicht hören wollte, im Minutendetail erzählen ließ. Der Knacks war ein trauriger Moment, aber ein scheinbar unvermeidbarer. Die Magie des Kinos war dahin, es blieb nur die Coolness des Moments.

Diese Woche hat sich dieser Knacks von selbst geheilt. Ich war zweimal im Kino und beide unglaublichen Male war es wie beim ersten Mal Kino überhaupt, wenn auch bei beiden Besuchen aus völlig anderen Gründen wie damals beim Fahrradflug aus E.T.

Der erste Film, den ich sah, war „Inception“. Der Grund für den oben beschriebenen Effekt war hier: Dass Sehgewohnheiten und Erwartungen an das, was ein Film leisten kann, so grundlegend zunächst auf den Kopf gestellt und dann überboten wurden, dass man erst vor Glück heulen wollte und dann, danach, die Welt mit anderen Augen sah, in der ständigen Furcht, man würde irgendwann, in einer realweltlichen Situation, plötzlich Edith Piafs „Je ne regrette rien“ hören. Oder dass der Kreisel einfach nicht mehr umkippt. Und so lange das nicht geschah, konnte man sich immer noch fragen, ob Cobb einfach nur von seinem letzten Trip in den Limbo nicht mehr zurückgekehrt war, oder ob die gesamte Geschichte auf einer fünften Ebene spielte und seine Frau, als sie sich aus dem Fenster stürzte, im Grunde recht hatte.

Der zweite Film war „The Expendables“. Der Grund hier: Weil dieser Film eine Einheit zwischen sich und dem Zuschauer, zumindest dem in den 80ern großgewordenen, herstellte, die so verstörend intensiv und gleichzeitig lustig war, dass ich mich im Nachhinein frage, wieso zum Geier so viele Teens da rein gerannt sind und ihn zumindest in den Staaten zu einem derartig großen Erfolg gemacht haben, obwohl die eigentliche Prämisse doch so völlig an ihnen vorbeigegangen sein muss: Nämlich eine Geschichte von und für und über die Anhänger und Akteure des großen, gradlinigen und Tech-freien Actionfilms einer Zeit vor iPhone und Blackberry zu erzählen und gleichzeitig deren Schwanengesang zu inszenieren. Alle alten Recken, von der Botoxruine Stallone bis zum Präsidentenanwärter Schwarzenegger, kleiden hier die Geschichte ihrer Hochzeit und die Notwendigkeit ihres Abstiegs in einen B-Film, der sich selbst noch während der Laufzeit überholt und im Pulverdampf über den Leichenbergen der lächerlich eindimensional Bösen schließlich komplett in der Metaebene verflüchtigt. Sie haben ihre geschundene Fresse und ihre malträtierten Körper buchstäblich für uns respektive ihre Karriere hingehalten und entlassen uns mit einem ultimativ sentimentalen Schulterschluss in eine Zeit, in der wir uns mit billigeren, wenn auch ganz und gar nicht uncoolen TV-Kopien wie Jack Bauer begnügen müssen, während die nächste Generation sich den bei Sonnenlicht diamantglitzernden, metrosexuellen, empathischen Selbstzweiflern widmen darf.

Hoffentlich ruinieren sie es nicht durch zweite Teile. Aber eigentlich glaub ich nicht, dass sie das machen werden.

8/26/2010

Die Vögel

Meine neue Wohnung hat ziemlich große Fenster, die jetzt so ziemlich den ganzen Sommer lang Tag und Nacht offen standen. Ich mag die frische Luft und direkten Kontakt nach draußen, und die paar Insekten mehr im Haus machen mir nichts aus. (Angst habe ich nur vor diesen wirklich dicken, pelzigen Spinnen, die meine ehemalige Vermieterin mir oft in Abwesenheit in die Wohnung setzte, aber damit ist es ja nun vorbei, und von selbst finden die mich hier nicht.) Dafür habe ich seit einer Woche ganz andere Besucher.

Mehrmals bin ich jetzt bereits in die Wohnung gekommen und habe Kohlmeisen dabei erwischt wie sie auf meinem Küchentisch die Krümel aufpickten oder im Wohnzimmer auf der Couch herumhüpften. Gestern hat mir zum ersten Mal eine in die Spüle gekackt.

Das ganze hat eigentlich weniger was von Disney und mehr was von Hitchcock. Ich könnte die Fenster natürlich einfach schließen, aber das will ich irgendwie nicht, so lange noch etwas Sommer ist.

Oder besser gesagt, ich rede mir ein dass ich das nicht will. In Wahrheit habe ich einfach Angst, was die Kohlmeisen wohl machen würden, wenn sie jemand wütend macht.

7/31/2010

Crash

Vorgestern

Super Urlaub, easy auf der Autobahn unterwegs und FLASH. Zu schnell. Viel zu schnell. Leider auf der deutschen Autobahn. Geblendet vom Licht (Ein stationärer Blitzer! Ich Volldepp!) blicke ich auf die Tachonadel, und die bewegt sich gerade in dem magischen Grenzbereich, in dem die Entscheidung fällt, ob man einfach nur zahlen muss oder doch einen Monat lang die Kollegen um Mitfahrgelegenheiten wird anschnorren müssen. Diese Entscheidung wird also erst der Brief bringen. Wütend und gefrustet fahre ich weiter bis ans Ziel, verärgert über mich selbst, wütend über den Psychoterror, die rechte Fahrspur nicht mehr verlassend.

Was für eine Ungerechtigkeit! Was für ein schlechtes Karma!

Gestern

Wieder auf der Autobahn. Immer noch verärgert, einen Ticken mehr über mich selbst und einen Ticken weniger über den Psychoterror. Dem Konditionierungsgedanken der Direct-Response-Theorie entsprechend langsamer und vorsichtiger. Plötzlich bremst der Wagen vor mir abrupt ab (und der reptilische Hirnteil nimmt irgendwie auch wahr, dass der Wagen vor dem Wagen vor mir der Auslöser ist) und ich steige reflexartig in die Eisen. Die Reifen quietschen, der Wagen schlingert, ich fange ihn ein. Entschleunigt von 100 auf 30 blicke ich reflexartig in den Rückspiegel. Der Wagen, der auf mich zurast, bremst nicht, oder jetzt doch, aber zu spät, es wird krachen (und der reptilische Hirnteil nimmt irgendwie auch war, dass die Fahrerin tatsächlich am Handy hängt). Sie bremst, sie schlingert, umkrallt das Lenkrad (wo ist das Handy?) und es kracht doch nicht, zumindest nicht auf mich, dafür auf die Betonplanke. Der Wagen prallt vom Beton ab, gerät auf den Mittelstreifen, rammt einen anderen Wagen (ich sollte nach vorne blicken nicht nach hinten) und der schert aus, auf den linken Streifen, knallt seitlich ins Heck eines weiteren Wagens (das kann nicht gutgehen, was wenn), der auf den Seitenstreifen gedrückt wird und zum Stehen kommt. Der erste Wagen schrammt zurück an die Betonplanke und bleibt stehen, der mittlere Wagen (noch Platz vor mir, wieso hat sich der Abstand nicht verringert, war das jetzt echt nur eine Sekunde?) fährt/schleudert quer über alle drei Streifen, rammt niemanden, fängt sich, fährt auf den Seitenstreifen. Ich setze den Blinker und folge. Ich weiß nicht, wieso, vielleicht kann ich ja helfen oder zumindest nachsehen (Ich will runter von der Fahrbahn). Der Verkehr läuft weiter. Es war wirklich nur eine Sekunde. Die Wagen vor mir haben es vielleicht gar nicht realisiert. Die Wagen, die jetzt durchfahren, fahren merklich langsamer; es gibt was zu sehen. Ich steige aus, der Fahrer des Wagens, der hinter mir zum Stehen gekommen ist und links und rechts zersägt ist, ebenso. Erstaunlich weit weg stehen die beiden anderen Fahrzeuge. Eins qualmt. Ich spreche kurz mit dem sichtlich mitgenommenen Fahrer des Wagens und seiner auffallend hübschen Begleiterin. Biete an, noch mit ihnen auf die Polizei zu warten, falls sie irgendwie einen Zeugen für die Versicherung brauchen oder so. Er nimmt dankend an, obwohl uns glaub ich beiden klar ist, dass das eigentlich überflüssig ist; aber so kann man runterkommen durch Unterhalten während der Wartezeit. Als ich schließlich wieder einsteige, wird mir klar, dass ich nicht angeschnallt war.

Was für ein Glück! Was für ein gutes Karma!

7/07/2010

0:1

Gott sei Dank hab ich nicht den LED Fernseher gekauft.

7/03/2010

Nachlese

Aufgrund der krassen Hitze traute ich mich heute anlässlich des Deutschlandspiels nicht in größere, schlimmstenfalls schattenlose Menschenmengen und schaffte es, fernsehanschlusslos wie ich bin, gerade noch so, bei Bekannten privat im Wohnzimmer unterzukommen. Das hatte den angenehmen Nebeneffekt (also neben der Ventilatorkühle, dem unbegrenzten Becks-Vorrat und der stets freien Toilette), dass ich endlich einmal dem Fernsehkommentator lauschen konnte. Bela nämlich ist heute zu Höchstformen aufgelaufen, inspiriert durch das extremst erfolgreiche Spiel der deutschen Mannschaft und die ständigen, gnadenlosen Close-Ups der Regie auf Diego und seinen Rosenkranz. Die beiden genialsten O-Töne seien hier kurz wiedergegeben für alle, die von grölenden Menschenmassen umgeben waren:

Diego Maradona kennt keine Grautöne, außer in seinem Bart.

Mit seinem Anzug sieht Diego Armando Maradona aus wie ein Rinderbaron.

Lohnt sich eben doch, so ein Kommentar. Aber irgendwie ist das ja auch ein negatives Aufflammen nationalistisch geprägter Ressentiments, siehe auch den BILD-Aufmacher "Wir hauen Messi auf die Fressi" oder die Schweinsteiger-Äußerungen im Vorfeld, welche im krassen Widerspruch zu den vor Spielbeginn verlesenen Kapitäns-Statements zur Völkerverständigung stehen. Ich meine, bloß weil man erst die Ex-Knackis, dann die Klippenpisser (danke Patrick!) und schließlich die Viehtreiber weggepustet hat, muss man doch nicht gleich wieder so auf die Kacke hauen.

Ansonsten muss hier endlich mal berichtet werden, dass meine Möbel schließlich doch noch eingetroffen sind. Das ist zwar bereits wieder ein paar Tage her, aber nachdem ich hier die Vorgeschichte so episch ausgebreitet hatte, sei diese kleine Coda erlaubt. Überhaupt habe ich mit der Lieferdauer scheinbar noch ziemliches Glück gehabt, wie ich von einigen relativ zeitgleich umziehenden Bekannten (oder solchen, die einfach aus ihrem Erfahrungsschatz heraus plauderten) erfahren habe. Offenbar sind Lieferzeiten von bis zu drei Monaten bei vernünftigen Möbelhäusern, also solchen, die noch über individuelle Möbel verfügen, völlig normal. Bei mir war es ja dann doch nicht mal ein ganzer Monat. Dafür lebe ich jetzt in einem IKEA Showroom. Wobei in einem solchen sicherlich nicht die verschiedenen Inkarnationen von Superman, inklusive dem bösen Superboy Prime von Erde-2, als Actionfiguren in der Vitrine Detolf stehen. Wie Tyler Durden sagte: "You are not your Swedish furniture!".

Kurz eingehen möchte ich hier noch auf den Erwerb meines neuen Kühlschranks, das einzige Einrichtungsstück, dass nicht von IKEA stammt. Nachdem der mir versprochene Kühlschrank meines Vormieters von einer parallelen Dimension verschlungen worden und schließlich durch einen spatialen Riss in der Raumzeit wieder im Keller als Biervorratsschrank materialisiert war, stand ich quasi ohne Joghurt und Wagner-Pizza da. Auf der Suche nach einem neuen Exemplar fand ich aber nur Kühlschränke, die entweder sehr viel kosteten, oder den Energieverbrauch einer Ölbohrstation aufbrachten, oder einfach Schrott waren. ("Nein, das ist nur ein Eiswürfelfach, kein Kühlfach, wieso, planen Sie denn größere Mengen einzufrieren?"). Doch einer stand da bei SATURN, der war so wunderschön, so strahlend, so weiß, und sein Kühlschranklicht leuchtete in allen Primärfarben. (Dass das Kühlschranklicht beim Schließen der Tür verlischt, ist übrigens die letzte große Lüge, mit der die Rothschilds uns indoktriniert haben.) Ebendieser Kühlschrank prangerte gleichzeitig vorne auf einem PROMARKT Flyer für 100 Tacken weniger als Lockangebot zur Neueröffnung (und war natürlich Nanosekunden nach Ladeneröffnung nicht mehr vorrätig gewesen). Hier kam die Magie des SATURN Preismarketings ins Spiel - die Tiefpreisgarantie. Ich zückte also den Flyer und forderte den Kühlschrank zum Konkurrenzpreis. Der SATURN Mitarbeiter zögerte und sagte dann, er müsse erst nachfragen. Er verschwand und kehrte kurze Zeit später mit einem Kollegen zurück. Dieser ließ sich mein Anliegen nochmals schildern (obwohl er es auf dem Weg rüber von der TV Abteilung sicherlich schon von seinem Kollegen gehört hatte) und erklärte dann nach kurzer Überlegung tatsächlich: "Also da muss ich erst nachfragen." Er schloss noch an, dass er erst seit einigen Tagen hier arbeite und nichts falsch machen wolle. Beide verschwanden erneut in den Gängen zwischen Haushaltsgeräten und Espressomaschinen und kehrten schließlich, diesmal in Begleitung einer weiblichen Angestellten, zurück. Erneut musste ich mein Anliegen vortragen, die SATURN Leute wechselten einige Blicke - es war diese Form wortloser Kommunikation wie zwischen Maradona und dem eigentlichen Trainer der argentinischen Nationalmannschaft - und schließlich sagte die Frau beinahe widerwillig: "Ja wenn das so ist, dann ist das so, dann machen wir das." Und nach einigem Papierkram konnte ich das Teil dann einpacken. Ich war im Nachhinein doch etwas überrascht, wie knauserig sich ein Unternehmen, das im Falle eines WM Sieges tausende von LED Fernsehern verschenkt, wegen solchen Peanuts anstellen konnte. Was mir ebenfalls im Gedächtnis blieb, war der Name des Mitarbeiters #2 - Marco Müll - und der Gedanke an die grauenhaften Qualen, die er in den großen Pausen während der Mittelstufe durchlebt haben mochte.

Um wirklich guten Gewissens den Wahres-Tag unter diesen Artikel setzen zu können, müsste hier eigentlich noch erwähnt werden, dass diese scheinbar so einfache Einkaufsaktion mehrere Hin-und-Herfahrten zwischen PROMARKT und SATURN sowie einen vorübergehenden Verlust all meiner Schlüssel auf einer PROMARKT Informationstheke involvierte, aber das würde den Rahmen wohl sprengen.

6/28/2010

Practical Angel

Vor zwei Wochen bekam ich, nur tragische anderthalb Kilometer von zu Hause entfernt, einen Platten. Zum Glück hatte ich, und das wird alle die mich kennen überraschen, ein Ersatzrad im Kofferraum. Nachdem selbiges montiert war, nahm ich mir vor, gleich am nächsten Tag ein neues Ersatzrad zu besorgen. Jedoch, und das wird alle die mich kennen kein bisschen überraschen, vergaß ich das gleich wieder.

Heute Morgen dann ist mir auf der Autobahn ein weiterer Reifen geplatzt. (Ehrlich gesagt ist er nicht geplatzt, sondern während der Fahrt langsam eingeplättet, was am Steuerverhalten des Wagens, retrospektiv betrachtet, schon vor der Autobahnauffahrt zu spüren war - aber wer wäre so hummeldumm, trotzdem aufzufahren? Keiner. Also sagen wir mal, er ist plötzlich geplatzt.)

Da stand ich also auf dem Seitenstreifen und hatte kein Ersatzrad dabei. Zum Glück, und das wird alle die mich kennen überraschen, hatte ich ein Warndreieck dabei, um die Pannenstelle abzusichern. Leider, und das wird alle die mich kennen kein bisschen überraschen, hatte ich kein Handy dabei.

Langsam dämmerte mir, in was für eine Situation ich mich da gebracht hatte. Kein Ersatzrad, kein Handy. Auf der Autobahn hält niemand an. Nachvollziehbarerweise.

Also trottete ich los, den Seitenstreifen entlang, mit permanent ausgestrecktem Anhalter-Daumen, aber natürlich bretterten sie alle vorbei. Ich überlegte, wie viele Kilometer ich wohl von der nächsten Ortschaft entfernt sein mochte; ob man mich an meiner Arbeitsstelle wohl schon vermissen würde; und dann, ein Gedanke der sich gemein und hinterrücks in mein Bewusstsein schlängelte, dass ich wohl gerade zu einem dieser mysteriösen Phantomidioten geworden war, die im Radio täglich die Verursacher der allseits bekannten "Auf-der-A-x-befinden-sich-Personen-auf-der-Fahrbahn"-Meldungen sind. Die, bei denen man sich immer fragt, "Was für Vollpfosten sind das eigentlich, die da auf der Autobahn rumrennen".

Und dann das Unglaubliche. Ein alter weißer Nissan Micra setzt den Blinker, entschleunigt, und fährt auf den Seitenstreifen. So fühlt sich ehrliche Dankbarkeit an. Die Fahrerin war eine unglaublich freundliche, auf die 50 zugehende Dame. Man merkte ihr an, dass sie angespannt war, dass dieser Stopp auf der Autobahn etwas mehr als unvorhergesehenes für sie war, etwas, dass sie ein klein bisschen verängstigte, sie verunsicherte, etwas, dass sie lieber nicht getan hätte. Doch nichts davon ließ sie mich spüren; es war ihr ganz offensichtlich ein solches Bedürfnis gewesen, zu helfen, dass sie ihre Bedenken ignoriert und angehalten hatte.

Mit ihrem Handy konnte ich meine Arbeitsstelle und den ADAC-Mann rufen, er kam binnen Minuten. Auch für ihn war ich dankbar, aber nicht ansatzweise so dankbar wie für die Fahrerin des weißen Micras, die ich nicht einmal nach ihrem Namen gefragt hatte und die längst wieder hinter der Kuppe der Autobahn verschwunden war. Ich würde sie im Radio grüßen, aber ich bin mir beinahe sicher, dass sie kein Radio hört.

6/16/2010

Der Epilog vom Ende

Als ich heute morgen meine neue Wohnung verließ, fand ich auf dem Fußabtreter vor meiner Tür einen Brief. Lange Zeit starrte ich ihn einfach nur an, unfähig mich zu bewegen, unfähig zu handeln, unfähig zu denken. Irgendwann aber hatte ich mit übermenschlicher Anstrengung die aufwallende Panikattacke überwunden, hob den Brief auf und starrte auf die handgeschriebene, symmetrisch perfekt austarierte, mit Breitfeder geschriebene Adresszeile, die nur aus meinem Namen bestand. Die Post hatte mit dem Transport dieses Schreibens nichts zu tun gehabt. Kein menschliches Wesen hatte das.

Ich wartete, bis meine Finger nicht mehr zitterten wie ein Jack Russel Terrier bei der Heimkehr seines Herrchens und öffnete den Umschlag. Ich entnahm das perfekt gefaltete Blatt und schlug es auf.

Sie haben möglicherweise bei Ihrem Auszug versehentlich zwei Regalaufhängungen der in der Wohnung installierten Regale eingepackt. Bitte bringen Sie sie zurück. Ich müsste mich sonst selbst darum kümmern, welche zu besorgen.

Ich zerknüllte den Brief und ließ ihn fallen. Als ich ins Auto stieg und das Radio anschaltete, wusste ich, welches Lied laufen würde, noch ehe die Boxen ansprangen.

Tikiesque

In einer Wohnung ohne Möbel zu leben, hat viele Vorteile. Ich finde beispielsweise zur Zeit große Gefallen daran, wie...
- meine Surroundanlage, obwohl nur die billigste Variante der Teufel-Soundsystem-Line, plötzlich wirklich wie im Kino klingt
- ein Feuerzeug nicht *snik* sondern *FUMP* macht
- ich mich der Illusion hingeben kann, ich hätte die Tiki-Küstenmacher-Philosophie für mich wirksam gemacht
- ich endlich eine Ausrede dafür habe, nichts zu finden
- ich den Boden als neue und größte Arbeits- und Ablagefläche entdeckt habe, die jeder Schreibtischauflage spottet
- ich überall kleine rote Kerzen hinstellen und so tun kann als lebte ich in einem Stone Temple Pilots Video
- ich gedanklich jeden Tag zu einer neuen Begrüßung für den IKEA Spediteur inspiriert werde (zB "Godot! Endlich!"), aus denen ich kleine Rankings erstellen kann
- die Wohnung lächerlich groß wirkt

Daraus hätte ich eigentlich eine gute Liste der Woche machen können.

6/11/2010

IKEA hassen und lieben und wieder hassen lernen

Ich hasse IKEA. Das ist immer schon so gewesen, seit meinem ersten Besuch anlässlich meiner ersten WG-Bude, als ich einfach nur einen dieser superbilligen Tische kaufen wollte und mich dazu für einen Samstag entschied - voller Gedränge, knuddeligen designierten Familien und Kevin-möchte-aus-dem-Kinderparadies-abgeholt-werden-Durchsagen. Dementsprechend schob ich den Besuch anlässlich meines erneuten Umzugs möglichst lange vor mir her.

Aber irgendwann musste es eben sein, also stürzte ich vor einigen Tagen schließlich wieder rein in den Schwedenladen, der, wie man hört, mittlerweile fast ausschließlich in China produzieren lässt. Doch diesmal war alles anders. Es war Mittwoch Abend, IKEA praktisch verwaist, ich hatte eine unglaublich entspannte und kompetente Einkaufsberaterin aus meinem Freundeskreis rekrutiert, fand auf Anhieb alles, was ich brauchte, und zog am Ende des Besuchs mein Fazit - IKEA ist schon cool.

Dann aber beging ich den entscheidenden Fehler: Ich war bzgl. eines Möbels (Finden Sie eigentlich auch, dass das Wort "Möbel" über eine inhärente Komik verfügt oder ist das wieder nur in meinem Kopf?) unsicher, und beschloss, nochmal wieder zu kommen und erst dann die Großbestellung aufzugeben. Ich wollte eh liefern lassen, hatte den Einkaufszettel soweit fertig, und mutmaßte, dass der zweite Besuch eine noch entspanntere Blitzvisite werden würde.

Natürlich kam es anders. Für den zweiten Besuch wählte ich - die Mechanismen des IKEA-Horrors noch nicht durchschauend - das Wochenende und fuhr alleine. Im dichtest-denkbaren Gedränge brauchte ich sodann trotz Liste etwa 90 Minuten, um mich einmal durchschleusen zu lassen - nur um dann, beim allerletzten Artikel der Liste, festzustellen, dass ich ebendiese Liste irgendwo liegengelassen hatte und auch nicht mehr finden konnte. Also das ganze von vorn - diesmal dauerte es etwas länger, da mein Gedächtnis erste stressbedingte Aussetzer aufwies.

Nachdem ich also gut drei Stunden nach meiner Ankunft endlich die Kasse passiert hatte, mit einer Transportliste voll schwedischer Möbel in der Tasche und einem fertig montierten Ausstellungsstück auf dem Wagen, die Ohren taub von Kevin-Durchsagen, stellte ich mich am Transportschalter an. Dort wartete ich etwa eine dreiviertel Stunde (während der eine Durchsage ertönte, die eine Kundin aufforderte, zum Infoschalter zu kommen, da ihre verlorene Einkaufsliste gefunden worden sei, was mir für einen Moment der Schwäche die Tränen in die Augen trieb). Als ich dann endlich dran war, informierte mich die Schalterkraft, dass montierte Stücke nicht transportiert werden könnten. Entnervt wollte ich die Scheißkommode "Hemnes" zurückgeben, jedoch - kein Rückgaberecht für Ausstellungsstücke.

Hemnes war zu groß für meinen Wagen. Natürlich nur um wenige Zentimeter, aber eben zu groß. Mir blieb also nichts anderes übrig als das Teil vor Ort in seine Einzelteile zu zerlegen. Nun ist Handwerkliches nicht eben meine Stärke, und so ging eine weitere knappe Stunde drauf, an deren Ende ich mir in der Schalterhalle eine treue Fanbase erarbeitet hatte, die mit guten Ratschlägen und offensichtlicher Belustigung nicht geizte.

Schließlich, nach einem halben Tag, kam ich zu Hause an. Das sollte es jetzt aber gewesen sein; die Möbel (tihi... "Möbel"... haha) würden geliefert werden und die Sache wäre erledigt. (Die Tatsache, dass ich zu Hause bemerkte, dass ich irgendwie die Rückwand von Hemnes hatte bei IKEA liegen lassen, will ich hier nicht weiter ausführen.)

Am Tag des Liefertermins klingelte dann das Telefon. Der IKEA-Spediteur war dran, er wirkte professionell untröstlich und informierte mich, dass die Lieferung heute nicht stattfinden könne - man sei in einen Unfall geraten und der Kollege läge gar im Krankenhaus. Einen neuen Termin könne man nicht geben, ich solle die IKEA Hotline anrufen.

Das Menü der IKEA Hotline ist das nervenzerfetzendste, das ich jemals erlebt habe. Ich brauchte zwanzig Minuten um den Weg zu einem menschlichen Wesen zu finden - eine Mission, die nicht eben erleichtert wurde durch den penetranten schwedischen Akzent der Computerstimme. Entsprechend geladen machte ich mir dann schließlich bei dem Mitarbeiter Luft, der versprach, sich sofort drum zu kümmern und mich zurückzurufen. Nichts geschah. Eine Stunde später rief ich wieder an, kämpfte mich wie Hänsel und Gretel den Brotkrumen entlang in rekordverdächtigen fünf Minuten durchs Menü und hatte diesmal eine weibliche Mitarbeiterin an der Strippe. Nach einigen Angaben meinerseits rief sie den Bericht des ersten Gesprächs an ihrem Rechner auf, wobei sie, wie manche Leute das eben tun, das, was sie las, leise mitmurmelte: "Kunde aufgebracht wegen gescheiterter Lieferung... braucht die Möbel zum Wochenende... {unverständlich} ... die übliche Eskalation..." - "Die übliche Eskalation??" warf ich eine Spur zu scharf ein. Die Mitarbeiterin zögerte kurz und erwiderte dann: "Äh, was? Äh nein... nein... ich lese nur gerade... äh... also der Kollege hat hier jedenfalls kein Rückrufprotokoll eingeloggt. Bestimmt ein Fehler, entschuldigen Sie bitte", sagte sie in dem Tonfall, in dem eine Pflegerin einen randalierenden Psychotiker zu beruhigen versuchen würde. Ich war kurz davor "Ich will meine Möbel" oder etwas vergleichbar hysterisch-lächerliches zu schreien, vielleicht sogar ein grenzdebiles "Oder das wird Folgen haben", jedoch kam sie mir zuvor und erklärte, sie werde sich sofort darum kümmern und mich zurückrufen. Sie ließ sich meine Festnetznummer geben und meine Handynummer und rief nie mehr zurück.

Heute schließlich meldete sich ein weiterer IKEA Mitarbeiter bei mir und nannte mir den neuen Liefertermin. In einer Woche.

Im Grunde ist es jetzt aber auch egal, denn ich habe mein Bananenkisten-System mittlerweile perfektioniert. Eigentlich überlege ich sogar, ob ich die Möbel überhaupt noch brauche. OK, ein Bett wär schon schön.


6/02/2010

Das Ende vom Ende

Nun, da ich mich langsam in meiner neuen Wohnung einrichte und Schritt für Schritt in die Normalität zurückfinde, nun, da mein Provider wieder eine Verbindung hergestellt hat, mag die Zeit gekommen sein, das letzte Kapitel meines Auszugs zu erzählen.

Am Morgen meines Auszugs, die Sonne war gerade aufgegangen, klingelte es an meiner Tür. Es war der sonderbare Mann aus dem OBI. Wortlos, und ohne auf eine Einladung zu warten, trat er ein und schloss die Tür hinter sich. "Es ist an der Zeit", sagte er, "wir müssen schnell handeln. Wann kommen deine Umzugshelfer?" Ich zeigte auf die Bundesliga Uhr von der ARAL und antwortete: "Eigentlich jeden Moment." Ich war längst darüber hinweg, Rückfragen zu stellen. "Gut", erwiderte Obi-Wan, "nun gilt es. Wir haben die Aufmerksamkeit der Zerstörerin durch komplizierte Beschwörungen und das Opfer eines Grauschwanzeichhörnchens abwenden können, aber der Effekt ist nicht von langer Dauer. Der Bund hat mich für den schlimmsten Fall abgesandt, um sie aufzuhalten und dir einen Vorsprung zu verschaffen." Mit diesen Worten nahm er sich eine Bananenkiste und trug sie, noch während der erste Helfer klingelte, zügig die Treppe hinab.

Das Laden des Transporters vollzog sich schnell und ohne Zwischenfälle. Meine Vermieterin, die noch in der Nacht zuvor das Treppenhaus geputzt hatte, ließ sich tatsächlich während des ganzen Vormittags nicht blicken. Schließlich hatten wir den Transporter fast vollständig geladen. Wir standen im Hof. Obi-Wan (ich versuchte mich zu erinnern, wann ich begonnen hatte, ihn so zu nennen) war gerade wieder nach oben gegangen um die letzte Kiste zu holen, da geschah es. Die Wohnungstür meiner Vermieterin flog auf, ein grausiges Heulen ertönte, und sie betrat das Treppenhaus. Obwohl ich im Hof stand, konnte ich sie irgendwie, oben im Treppenhaus, vor mir sehen; auf irgend eine Weise musste sie im Laufe der Jahre eine Art mentale Verbindung zwischen uns errichtet haben, und warum auch nicht, schließlich gehörte ich ihr. Sie sprach nicht; um sie herum tobten Blitze und dunkle Wolken, ihre Augen waren pupillenlos (aus unerfindlichen Gründen beschlich mich ein Gefühl von Déjà Vu, ein Bussard schrie in weiter Ferne und klatschte dann mausetot in den Hof), und der mittelgroße Ficus vor ihrer Tür verlor schlagartig alle Blätter, die kurz um sie herumwirbelten, um sich dann in kleinen, perfekt symmetrisch angeordneten Häufchen auf dem Boden des Flurs zu sammeln.

"Fahrt los! Fahrt! Ich halte sie auf!" schrie Obi-Wan. "Aber die Bananenkiste!" schrie ich aus dem Hof herauf. "Vergiss die verdammte Kiste!" brüllte Obi-Wan zurück, und ich glaubte zu hören, wie er leise anschloss: "Wie konnte der Orden sich nur für diesen Kretin entscheiden." Da hörte ich die durch das perfekt polierte Treppenhaus tausendfach verstärkte Stimme meiner Vermieterin brüllen: "Neeeeeeeeeeein! Er gehört miiiiiiiiiiir! Diesen hier werdet ihr mir nicht neeeeeeeehmen!" Die Umzugshelfer sprangen panisch in den Transporter. Ich zögerte, trat in den Flur des Erdgeschosses, blickte nach oben, versuchte Obi-Wan und meine Vermieterin auszumachen. Ich sah, wie sie ihn umklammerte und ihre urplötzlich gewachsenen Fangzähne in seinen Hals schlug. "Diiiiiiiiiiiesen niiiiiiicht", brüllte sie mit einer grauenhaft verzerrten Stimme. Obi-Wan brach röchelnd zusammen, meine Vermieterin stemmte die Bananenkiste mit den Spider-Man Jahrgängen 96-99 und begann, sie immer wieder auf Obi-Wans Kopf zu schlagen. Sie war stärker als zehn Männer. Ich fasste das Silberkreuz und spurtete in den zweiten Stock hoch, zum Ort des blutigen Kampfes. Ich sah, dass ich zu spät war, dass Obi-Wans Kopf nur noch eine blutige, formlose Masse war. Wut erfüllte mich. Ich packte das Kreuz, stieß es ins Gesicht meiner Vermieterin und schrie: "Michael! Gabriel! Raphael! Ariel!" Nichts geschah. Meine Vermieterin lachte schrill, und Funken stoben aus ihren Augen. Von oben hörte ich mehrere Westerwelle-Cyborgs aus der Wohnung meiner Vermieterin die Treppe hinab strömen. "Uriel, meine ich!" kreischte ich. Das Kreuz erstrahlte in gleißendem Licht. Meine Vermieterin schrie nervenzerfetzend laut auf, ihre Haut warf Blasen, die Fenster des Hauses splitterten aus ihren Rahmen. Schließlich wurde sie leiser und leiser und blieb dann, endlich, reglos liegen. Es war vorbei, schien es.

Ich ging langsam die Treppe hinunter. Alle Helfer hatten es nun eilig. Wir schlossen die Ladetür des Transporters, quetschten uns in die Fahrerkabine und fuhren los. Es war tatsächlich gelungen. Sie war besiegt.

Und dann geschah es. Das Glasbausteinfenster des Treppenhauses explodierte in Höhe der Wohnung meiner Vermieterin und eine grauenerregende Gestalt - sie war es, aber es war nichts menschliches mehr an ihr - schwang sich hinaus ins Tageslicht, in einem Regen aus Westerwelle-Cyborg-Trümmern, breitete ihre Fledermausschwingen aus und landete so zielsicher wie schreiend auf dem Dach des Transporters. Ihre Krallen schlugen sich ins Blech. Sie begann, den Transporter von oben zu öffnen wie eine Büchse Anchovis.

"Das Kreuz, Mann!" schrie einer. Doch es war fort. Ich hatte es im Treppenhaus liegen gelassen. Eine fatale Ruhe überkam mich. Das war´s. Ich hatte verloren. Das Dach wurde weggerissen. Pupillenlose Augen starrten grinsend in die Fahrerkabine hinab. "Diiiiiiiesen niiiiiiiicht", gurgelte sie.

Der Transporter rumpelte mit 120 über einen der nervigen Geschwindigkeitsbegrenzungshügel, die Achse quietschte bedenklich, meine Vermieterin wurde von der Fliehkraft erfasst und weggeschleudert, konnte sich jedoch an der Beifahrertür direkt neben mir festklammern. Sie griff durch das mittlerweile zerstörte Beifahrerfenster und umklammerte bestialisch grinsend meinen Hals. Langsam drückte sie ihn trotz all meiner Gegenwehr zu. Mein Sichtfeld begann sich zu verengen. Es wurde dunkel um mich. Die Stringenz meiner Gedanken zerfaserte in ein graues Nichts. Die Schreie der Helfer rückten in unerreichbare Ferne.

Da, in der Dunkelheit, glaubte ich eine Stimme zu vernehmen. Es war Obi-Wan. "Ein Schweizer Taschenmesser ist ein nützlicher Helfer in allen Lebenslagen." Mit letzter Kraft griff ich in die Tasche meiner Jeans und fühlte den Griff des Schweizer Taschenmessers. Benommen, aber mit der Kraft der Verzweiflung, zog ich es hervor. Die Stimme meiner Vermieterin war keine Stimme mehr, nur noch ein gutturales, unheiliges Triumphgeheul. Die Sonne hatte sich verfinstert. Ich ließ den Flaschenöffner herausklappen.

Ich riss den Arm hoch und stieß zu. Mit einem markerschütternden Schrei ließ meine Vermieterin von meinem Hals ab. Mit ihrem verbliebenen Auge starrte sie mich für einen zur Ewigkeit gedehnten Sekundenbruchteil an, dann verlor sie den Halt an der Tür und stürzte unter die Räder. Es machte dumpf *bump* und gleich darauf noch einmal *bump*. Der Transporter bremste. "Nochmal! Rückwärts!" brüllte irgendjemand. Der Fahrer setzte zurück. *bump* *bump*

Der Wagen kam zum Stillstand. Vor uns lag ein unindentifizierbares, unangenehm breites Bündel auf der Straße. Minutenlang geschah nichts. Dann, plötzlich, brach das Bündel in grellgrüne Flammen aus und verdampfte binnen Sekunden zu einem klebrigen, gelblichen Fleck auf dem Asphalt.

Ruhe überkam mich. Ich wusste, ich hatte es geschafft. Es war endgültig vorbei. Ich war frei.

Ich tippe diese Zeilen am Abend des dritten Junis 2010. Das Ende einer Ära. Mögen sich zukünftige Generationen dessen erinnern.

5/27/2010

Die Mitte vom Ende

In den letzten Tagen war meine tiefe Besorgnis angesichts der langen Reihe von seltsamen Ereignissen rund um meinen Umzug reger Betriebsamkeit gewichen. Wie immer hatte ich die Dinge zu lange aufgeschoben und war nun so unter Zeitdruck geraten, dass ich schlicht keine Zeit mehr hatte, mir Sorgen zu machen. Zwei Tage noch - am Samstag würde ich umziehen. Das Radio mit Hotel California stellte ich einfach nicht mehr an, Briefe waren keine mehr gekommen, und vielleicht ließ sich die Sache mit dem Westerwelle-Cyborg und der Wetterkontrollmaschine ja doch nach dem Umzug noch mit ein paar Psychopharmaka in den Griff kriegen. Das alles konnte schließlich nicht real sein.

Heute Nachtmittag kam es dann zu der folgenschweren Begegnung bei OBI, die ich an dieser Stelle schildern möchte. Ein hagerer Mann in einer dunklen Kutte trat plötzlich lautlos und irgendwie würdevoll hinter einem Stapel Alpina-Weiß hervor. Seine eisgrauen Augen fixierten mich und flößten mir augenblicklich einen merkwürdigen, wenn auch nicht unangenehmen Respekt ein. Ich verkniff mir den offensichtlichen Scherz ("Obi-Wan? Du hier?"), tatsächlich brachte ich überhaupt nichts hervor. Da sprach er mich an.

- Der Tag ist gekommen. Das Spiel neigt sich dem Ende zu. Es wird Zeit, dass Du alles erfährst.
- Dass ich was erfahre?
- Die Wahrheit. Die Antwort auf deine Fragen und den Grund für deinen Weg.

Ich wollte mich umdrehen und gehen, konnte aber nicht.

- Du wirst am Samstag umziehen, nicht wahr?
- Woher wissen Sie das?
- Weil wir hinter allem stecken. Wir haben lange daran gearbeitet, dass Du genau jetzt dort stehst, wo du stehst.
- Vorm Farbenregal bei Obi?
- Ich meine das metaphorisch.

Er wirkte ungeduldig; so als würde er sich wünschen, ich wäre jemand anderes.

- Unser Geheimbund hat sich seit Jahrtausenden dem Kampf gegen die große Zerstörerin verschrieben.
- Sie meinen meine....
- Sprich ihren Namen nicht aus. Seit vielen Jahren haben wir dein Leben kontrolliert und deine Schritte gelenkt. Entscheidungen beeinflusst und Wege geebnet. Das alles nur, damit du jetzt genau hier bist. Du bist unsere Waffe. Du wirst uns endlich zum Sieg führen. Nicht so wie all die anderen vor dir.
- All die anderen vor mir?
- Das ist jetzt unwichtig. Dir wird gelingen, was deinen Vorgängern versagt blieb.

Eine unerklärliches Grauen ergriff Besitz von mir.

- Du fragst dich, was wir alles getan haben.
- Ja. Als ich zum Beispiel damals durch diesen sonderbaren Postverlust ein halbes Jahr Wartezeit in Kauf nehmen musste und dadurch an meiner aktuellen Arbeitsstelle endete...
- Das waren wir.
- Als ich das Examen bestand obwohl ich für die Prüfung nicht gelernt hatte?
- Das waren auch wir.
- Als mein Umzug nach NRW scheiterte?
- Das waren auch wir.
- Wer gibt Ihnen das Recht, so über mich zu bestimmen? Was ist mit meinem freien Willen? Ich... Sagen Sie, wissen Sie eigentlich, dass es da bis vor kurzem eine Serie gab, die sich um das gleiche Thema drehte, nur auf einer Insel?
- Das waren auch wir.
- Sie haben also alles in meinem Leben beeinflusst, bis hin zu zeitgenössischen Fernsehproduktionen?
- Und Literatur. Und Kultur. Und Politik, Religion, Kunst. Und nun neigt sich der große Plan dem Ende.
- Was... was muss ich tun?
- Ausziehen. Durch den Akt des Auszugs wirst du den uralten Bann brechen, der ihre Macht erhält.
- Und das wird schwierig, weil...?
- Du wirst rechtzeitig verstehen. Wisse nur, es geht um nichts geringeres als das Schicksal des Menschengeschlechts. Nur eins noch. Ich werde dir nun zwei Dinge geben, die Du brauchen wirst, um deine Mission zu erfüllen.

Ich wartete atemlos.

- Hier gebe ich dir ein silbernes Kreuz. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, rufe die Namen der vier Erzengel an - Michael, Gabriel, Raphael, Uriel - und es wird seine Magie freisetzen.
- Wie bitte? Das ist doch aus dieser Groschenroman-Serie. John Sinclair.
- Das waren auch wir.
- Verstehe.
- Ja.
- Gut. Und... und was ist das zweite?
- Was? Ach so, das zweite... ja, Moment... wo ist es denn... ah hier. Ein Schweizer Taschenmesser.
- Ein Schweizer Taschenmesser? Was zum Teufel soll ich mit einem Schweizer Taschenmesser?
- Muss ich dir denn alles erklären? Unglaublich. Ein Schweizer Taschenmesser ist seit jeher ein praktischer Helfer in allen Lebenslagen.

Ich starrrte ihn schweigend an. Er starrte zurück. Ich sah in seinen Augen, dass er die Wahl seines Geheimbundes auch nach all den Jahren nicht nachvollziehen konnte. Schließlich drehte er sich wortlos um und ging. Ich hörte ihn zu sich selbst murmeln:

- "Was soll ich mit einem Schweizer Taschenmesser? Was soll ich mit einem Schweizer Taschenmesser?" Unglaublich. Wie konnte der Orden sich nur für diesen Kretin entscheiden.

Dann verschwand er um die Ecke eines Regals. Ich blieb zurück und starrte auf den Stapel Alpina-Weiß. Ich versuchte mich zu erinnern, ob man zum Abdecken farbiger Töne einmal oder zweimal streichen muss.


5/17/2010

Didaktische Aufbereitung

Kafkas "Das Urteil" - die wohl berühmteste Novelle des Meisters des Surrealen, in der ein Sohn mit seinem alternden Vater aneinandergerät. Der Vater offenbart unvermittelt seine ganze Verachtung für seinen Sohn und erklärt schließlich, er verurteile seinen Sohn zum Tode durch Ertrinken. Daraufhin geht der Sohn - wer würde nicht so reagieren - los und ertränkt sich. Kafka halt.

Seit geraumer Zeit ist diese Geschichte fester Bestandteil des Oberstufenunterrichts an deutschen Schulen. Hier eine Originalaufgabe aus einem Oberstufenlehrwerk zum Thema.

a) Stellen Sie die (...) Passage als szenisches Spiel dar. Diskutieren Sie anschließend die Wirkung.
b) Finden Sie andere Möglichkeiten der Selbsttötung oder extremen Selbstschädigung und spielen Sie auch diese durch.

Quelle: Module für Unterrichtssequezen, Oldenbourg Verlag 2008

5/05/2010

Der Anfang vom Ende

Heute Morgen fand ich einen Brief meiner Vermieterin vor meiner Tür. Er steckte nicht, wie sonst üblich, in einem Umschlag. Das lose Blatt wirkte auf merkwürdige Weise knitterig, wie im Zorn unachtsam behandelt. Die in sonderbar roter Tinte (?) geschriebenen Lettern waren größer als sonst und ließen die sonst so bestechend austarierte Symmetrie vermissen. Es waren nur sieben Worte:


Ich weiß was Sie vorhaben.


Viel Glück.



It´s on!

4/17/2010

Endlich wieder wie 15 fühlen mit Media Markt

Heute wollte ich mir bei Media Markt einen Film ab 18 kaufen (keine dummen Sprüche jetzt) und hatte an der Kasse ein ausgesprochen sonderbares Erlebnis. Ich legte die DVD hin, beantwortete die übliche Frage, ob man meine PLZ erfahren dürfe, mit dem üblichen "Nö", und wollte gerade schon die Geldkarte zücken, als die Verkäuferin plötzlich innehielt und sagte: "Die kann ich Ihnen aber so nicht verkaufen, da muss ich erst Ihren Ausweis sehen." Ich zögerte kurz, es war dieser typische Moment, in dem ein unbekanntes Gegenüber etwas Merkwürdiges tut, und man aufgrund erwähnter Unbekanntheit nicht einschätzen kann, ob es sich um einen Scherz handelt oder um eine Verhaltensauffälligkeit. (Ich glaube, Fremde erleben das umgekehrt mit mir ziemlich häufig, was immer das bedeutet.) Ein Blick auf die nicht unbeträchtlich lange Schlange hinter mir ließ mich aber an den humorigen Absichten der Kassiererin zweifeln, zumal ihr unverbindliches Lächeln mittlerweile in eine maskenhafte Starre gekippt war, wie man sie häufig bei Bräuten während des Händeschüttelns nach der Eheschließung beobachten kann, oder bei meiner Vermieterin, wenn sie mal wieder jemanden bei Vollmond in ihrem Ziergarten unter den Holzflamingos verscharrt. Nur um sicher zu gehen, fragte ich die Kassiererin, ob das ein Witz sein solle, was sie verneinte. "Aber Sie können doch unglaublich denken dass ich noch nicht 18 bin", fragte ich ungläubig. "Darum geht es nicht", antwortete sie, "es ist eine Vorschrift."

Nun hatte ich leider tatsächlich keinen Ausweis bei mir, um die Frau zu überzeugen, dass sie sich um anderthalb Dekaden vertan hatte, wollte aber wirklich gerne diese DVD haben. Also fragte ich nach dem Geschäftsführer. Ich hatte bereits für mich ausgemacht, dass die arme Kassiererin einfach ein klein bisschen total einen an der Waffel hatte und spekulierte schon auf einen kleinen Gutschein für die Umstände oder so. Der Geschäftsführer kam. Ich schilderte ihm das Geschehen, und wurde schon in der gleichen Sekunde misstrauisch, weil dieser kein bisschen überrascht wirkte. Er erklärte mir dann, dass sich die Kassiererin völlig korrekt verhalten habe und man bei Media Markt schon seit längerem bei jedem Artikel mit Altersbeschränkung einen Ausweis vorlegen und die Ausweisnummer notieren lassen müsse, völlig unabhängig vom realen Alter, und sei dieses noch so offensichtlich. Wort- und warenlos verließ ich die Filiale. War ich da in die Versteckte Kamera reingeraten? Wurde sowas heute überhaupt noch produziert? (Und was machen Paola und Kurt Felix eigentlich heute?)

Zurück daheim gab ich dann mal "Media Markt" und "Ausweis" in die Suchmaschine ein, und tatsächlich - das Netz brummte vor Beschwerden über vergleichbare Vorfälle deutschlandweit. Was ist da eigentlich vorgefallen bei Media Markt? Ist das ein landesweites Psychoexperiment? Ist die Konzernleitung der Saturn/Media passiv-aggressiv veranlagt? Hat Daniel St. einen völlig unerwarteten Sprung auf der Karriereleiter gemacht? Oder wird mir das demnächst auch bei Rewe passieren, wenn ich einen Sixpack kaufen will?

4/05/2010

Niemand ist eine Insel

Die Serie „24“, die mittlerweile in der achte Season läuft, und die ich immer noch gerne sehe, zeigte bereits in der dritten Staffel Abnutzungserscheinungen, eine gewisse Redundanz, die ahnen ließ, dass der Faktor des Genialen sich langsam verflüchtigte. Und so kam es ja dann auch. Für mich war das, so dachte ich, die letzte Serie, die ich mit wirklicher Hingabe verfolgt hatte. Zum einen, weil ich nicht wusste, was danach noch wirklich neues kommen sollte, zum anderen, weil ich langsam aber sicher in einen Lebensabschnitt geschliddert war, in dem die kultische Rezeption einer Fernsehserie, als fester Lebensprogrammpunkt samt Forenbelagerung, stundenlangen Diskussionen und Voicemails an Fanpodcasts ein zeitlicher Luxus war, den man angesichts seiner inhärenten Zweckfreiheit nur schwer vor sich selbst rechtfertigen konnte.

Aber dann kam LOST, die Serie mit der Insel. Eigentlich kam Lost schon zwei Jahre früher, aber ich stieß, DVD sei Dank, erst zeitverzögert hinzu, so zum Ende der zweiten Season. Mittlerweile läuft die sechste und letzte.

Über die Serie selbst brauche ich hier glaube ich nichts zu schreiben, denn ein zwangloses Dazustoßen ist mittlerweile eh vollkommen unmöglich. Wer nicht von Anfang an dabei war, ist angesichts der unfassbar vertrackten Storyline chancenlos. Was mit einigen Flugschiffbrüchigen auf einer Südseeinsel mit Eisbären begann, ist mittlerweile ein Epic voller Geheimnisse, dessen Erzählstruktur sich strahlenförmig in Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und sogar alternative Realitäten ausbreitet. Eine Geschichte, die im Grunde der Versuch ist, auf einer Metaebene dem Prinzip „Geheimnis“ selbst Gestalt zu verleihen. Ein bis dato nicht da gewesenes, kongenial durchplantes, literarisches multimediales Experiment.

Aber jetzt schreibe ich ja doch über die Serie. Und hab schon wieder Schaum vorm Mund. OK genug jetzt.

Im Moment läuft also die letzte Season. Noch 7 Folgen sind übrig. Ich konnte nicht anders und hab sie in dieses iTunes Abo gleich nach US-Ausstrahlung geholt. Noch sieben Folgen. Ich werde nervös. Versuche meinen Redebedarf sinnvoll zu kanalisieren. Denn trotz des Versprechens eines der Produzenten während der Sommerpause, geäußert in einem Interview auf der San Diego Comic Con, dass man „nun keine Fragen mehr aufwerfen“ würde und stattdessen „die finalen Antworten liefern“ würde, gibt es bis jetzt nur – neue Fragen. Immer wenn man eine Ahnung entwickelt, wenn man plötzlich das Gefühl hat, die Puzzleteile fügen sich zusammen, geschieht etwas, das alles wieder ad absudrum führt. Die Foren laufen heiß. Die beiden Lost-Fan-Podcasts, die ich im Abo habe, haben ihre durchschnittliche wöchentliche Laufzeit verdoppelt. Der wahrscheinlich gesündere Otto-Normal-Zuschauer ist längst genervt ausgestiegen. Ich denke in den unmöglichsten realweltlichen Situationen über die Geschehnisse in einer TV Serie nach – also wirklich in allen Situationen. Besorgte Fragen, ob dieses Verhalten der Grenzüberschreitung ins Pathologische nicht bedenklich nahe kommt, werden nervös lachend beiseite gewischt.

Werden sie wirklich alle Rätsel auflösen? Haben sie wirklich einen Plan? Wie wollen sie in sieben Folgen diesen unfassbaren, multilinearen Rattenkönig von Erzählsträngen vorwärts und rückwärst durch die Multiple-Welten-Theorie und alle Weltreligionen noch auflösen? Und was ist eigentlich mit den Eisbären?

Es ist nur eine Fernsehserie. Es ist nur eine Fernsehserie. Es ist nur eine....

PS: Zumindest eine Erkenntnis: Scheiß auf Lebensabschnitte. Ich werde immer ein Fanboy sein. Andere töpfern.

4/01/2010

Die Liste der Woche

Unterschätzte Karnevalskostüme

10. Teenage Mutant Ninja Turtle

9. Fraktal

8. Meisterschale

7. Amöbe

6. Typ im roten Shirt der in der Star Trek Folge „Horta rette ihre Kinder“ ums Leben kam

5. Rotkäppchen

4. Generikum

3. Bettpfanne

2. Satzzeichen

1. Günter Wallraff

3/28/2010

Hotel California

Seit einiger Zeit habe ich erkannt, dass meine einzige Chance in der Flucht besteht. All die Erlebnisse mit meiner Vemieterin, all die Vorfälle, lassen sich in ihrer schieren Summe einfach nicht mehr verleugnen, oder Missverständnissen zuschreiben. Die Zeit, in der ich versuchte, Hilfe zu holen, oder die Welt einfach nur zu warnen, sind vorbei. Es gibt eben nur begrenzt viele schwarze Messen, Wetterkontrollmaschinen und Westerwelle-Cyborgs, die man irgendwie verdrängen kann ohne irreparablen Schaden zu nehmen. Und dazu kommt die Ahnung eines Masterplans, ein Gefühl einer düsteren Bestimmung, das, einer raschen Bewegung im peripheren Sichtfeld gleich, präsent ist und doch nicht greifbar. Es stand also fest: Ich musste raus hier.

Entscheidungsfördernd war das wiederholte Anschauen des 70er-Jahre-Gruselklassikers „Landhaus der toten Seelen“, unlängst auf DVD erstanden, in welchem eine Familie trotz aller Vorzeichen ja auch den entscheidenden Moment zu lange zögert, aus einem merkwürdigen Mietverhältnis einer noch merkwürdigeren Vermieterin zu entkommen. Und vollständig ausgelöscht wird.

Also begann ich, heimlich, auf Wohnungssuche zu gehen. Dabei aber haben sich in den letzten Tagen sonderbare Vorkommnisse gehäuft. Ansichtstermine, die plötzlich abgesagt wurden. Makler, die plötzlich spurlos verschwanden. Zunächst dachte ich mir nichts dabei – schließlich konnte meine Vermieterin unmöglich ahnen, was ich vorhatte.

Immer misstrauischer wurde ich, als ich bemerkte, dass jedes Mal, wenn ich in den letzten Tagen das Radio einschaltete, „Hotel California“ lief. Egal welcher Sender. Immer die letzte Strophe. Geloopt.

Mirrors on the ceiling,

The pink champagne on ice

And she said 'We are all just prisoners here, of our own device'

And in the master's chambers,

They gathered for the feast

They stab it with their steely knives,

But they just can't kill the beast

Last thing I remember, I was

Running for the door

I had to find the passage back

To the place I was before

'Relax,' said the night man,

'We are programmed to receive.

You can check-out any time you like,

But you can never leave!'

Gestern, als ich gerade wieder das Radio eingeschaltet hatte, schwitzend und nervös lachend, hörte ich plötzlich ein Geräusch vor meiner Tür. Ich kannte dieses Geräusch. Es war das vertraute, leise Schaben meines Fußabtreters, wenn meine Vermieterin eine der wöchentlichen Nachrichten in Zettelform auf ihm deponiert. Ich lauschte atemlos. Kämpfte kurz mit mir. Dann öffnete ich die Tür. Meine Vermieterin kauerte vor der Tür, hatte gerade den Zettel abgelegt. Sie blickte auf. Pupillenlose, weiße Augen blickten mich an. Aus unerfindlichen Gründen beschlich mich ein beinahe panikartiges Gefühl von Déjà Vu.

- Oh, hallo Herr X, ich wollte Ihnen nur kurz diesen Zettel hinlegen, um Sie darüber zu informieren, dass Ihre Wäsche noch im Keller hängt, obwohl sie bereits seit 37 Minuten komplett getrocknet ist.

- Oh. Danke, Frau Y.

Mit einem leisen *plopp* kamen ihre Pupillen zurück.

- Sie hören das, wenn ich hier Zettel deponiere?

- Seit einiger Zeit schon, ja.

Wir schwiegen. In der Ferne krächzte ein Bussard. Da war das Gefühl wieder.

- Naja das wollte ich Ihnen nur mitteilen. Die Wäsche muss weg. Die anderen Mieter brauchen ja auch Platz, um die Wäsche aufzuhängen.

- Natürlich. Das verstehe ich. Ich werde die Wäsche gleich abhängen.

- Gut. Gut. Sie werden ja schließlich noch eine Ewigkeit hier verbringen.

Was hatte sie da gerade gesagt?

- Entschuldigung, was sagten Sie gerade?

- Ich sagte, Sie wollen ja schließlich noch einen Moment hier wohnen. Da muss man Rücksicht nehmen.

- Ach so... ja.... natürlich.

- Oder gibt es etwas, dass ich wissen sollte?

- Wie? Nein. NEIN. Natürlich nicht. Wieso... warum fragen Sie?

- Wieso frage ich was?

- Na, ob... warum... was... ach... ich weiß auch nich.... vergessen Sie´s – ich hab mich verhört.

- Ja.

- Ja.

- Ach, Sie hören ja „Hotel California“. Ich mag diesen Song.

- Diesen... Song?

- Na dieses Lied. Es erinnert mich an die 70er. Viele sagen ja, der Text verberge eine geheime, okkulte Botschaft. Völliger Quatsch, wenn Sie mich fragen.

- Ich ... ich glaube auch.

- Ja.

- Ja. Ich geh dann mal wieder rein.

- Machen Sie das, Herr X. Auf Wiedersehen.

Heute Morgen hat die Maklerin einer Wohnung, für dich ich mich interessierte, bei mir angerufen. Sie sagte, sie könne den Vertrag leider nicht mit mir besprechen, da sie auf unbestimmte Zeit verreisen müsse. Nach Ägypten.

23 Uhr 30. Ich habe wieder angefangen zu rauchen.

3/21/2010

Popgap

Ein unterschätzter Aspekt der in der täglichen Erfahrung im Grunde immer noch relativ ungreifbaren „Finanzkrise“ ist die Vernichtung von Marken. Als beispielsweise vor einiger Zeit Quelle die Segel streichen musste, habe ich mich lange Zeit gefragt, warum mich dieser Prozess auf seltsame Weise betroffen machte. Schließlich hatte ich nie etwas bei Quelle bestellt; und außer ganz früher, also in der Zeit des großen Abschieds aus der ersten Hörspielkassettenphase, als der Quellekatalog aus ganz anderen Gründen eine gewisse Faszination aus mich ausübte (natürlich wisst ihr was ich meine), hat dieses Unternehmen auch nie eine Rolle in meinem Leben gespielt. Ich war eigentlich sogar Krisengewinnler, als ich beim großen Quelle-Ausverkauf ein ziemlich cooles Sweatshirt kaufte, wie es sich für ein gewissenloses westliches Kapitalistenschwein gehört. (Und es - natürlich - nur knapp zwei Wochen später billiger bei Karstadt rumliegen sah.)

Ich habe erst verstanden, was mich an dieser Sache so beschäftigte, als ich mich vor einigen Wochen so über dies und jenes mit einem Bekannten unterhielt und der plötzlich sagte: „Tja Quelle gibt´s nicht mehr... irgendwie krass oder?“ Das war´s: Die Marke Quelle war weg. Eine Marke, die, so lange ich denken konnte, eine feste Größe war und im Zusammenspiel mit abertausenden anderen Faktoren meinen kulturellen Tellerrand bildete.

Marken stiften kulturelle Identität, sie sind, Dauerhaftigkeit und Größe vorausgesetzt,Wegbegleiter und sie transzendieren ein Produkt über dessen Beschaffenheit und Nutzen hinaus. Sie laden es mit Erinnerungen, Eindrücken und Gefühlen auf. Das ist per se weder gut noch schlecht, sondern lediglich ein Effekt, der sich eben einstellt und sicherlich auch bewusst genutzt wird. Und so entsteht, fällt eine solche Marke plötzlich weg, eine undefinierbare Lücke, ein Gefühl von Verlust, welches unabhängig von einer realen Anwendbarkeit existiert. Ein diffuses Gefühl, das logisch nicht greifbar ist; sich aber, da bin ich mir sicher, auch bei anderen Menschen einstellt, wenn der Märklin-Laden in der Mall dichtmacht, den man mangels Interesse an Modelleisenbahnen doch nie betreten hatte. Nicht umsonst war ein wichtiges Kennzeichen der unverhältnismäßig schnell wieder zu den Akten gelegten Popliteratur der 90er Jahre die Besessenheit mit Marken, wie sie zB in Christian Krachts „Faserland“ bis zum Exzess betrieben wurde.

Was macht Benjamin von Stuckrad-Barre eigentlich heute?

3/15/2010

Perlen der Filmgeschichte 3 - Wicker Man

Als ich dieser Tage wegen eines kleinen Infekts ein paar Tage lang keinen Kopf zu gar nichts hatte, brachte mir ein netter Mensch einen Stapel DVDs vorbei, die ich noch nicht kannte. Unter ihnen war ein Nicholas Cage Film von vor ein paar Jahren namens "Wicker Man". Es geht darum, dass Nicholas Cage, diesmal ein Polizist, auf der Suche nach einem verschwundenen Mädchen eine abgelegene schottische Insel aufsucht. Die Leute dort sind allerdings, wie er schließlich erfahren muss, Anhänger eines heidnischen Kults und opfern ihn kurzentschlossen ihrem Gott. Oder Göttin. Das war´s.

Der Film ist zum Schreien komisch. Das geile daran ist aber, dass er das gar nicht sein möchte. Er möchte ganz offensichtlich vielmehr Angstkino sein, ein verstörender Trip in menschliche Abgründe. Da ist es natürlich ein bisschen undankbar, vor Lachen von der Couch zu fallen, aber was soll man machen. Cage, der im Moment gefühlte 20 Filme pro Jahr rausbringt, achtet ganz offensichtlich nicht mehr all zu sehr auf das Script, sofern es Kohle gibt. Und was sein Schauspiel angeht, hat sich der seit je her nicht gerade um Subtilität bemühte Mime mittlerweile auf einem dermaßen hohen, brummkreiselmäßigen Overacting-Level eingependelt, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder er ist im Laufe der Jahre ein schlechterer Schauspieler geworden (unwahrscheinlich). Oder es ist eine Form des Protests gegen die oft rumpeldummen Drehbücher.

Gleich nach dem Film machte ich mich aus ehrlicher Begeisterung heraus an eine kleine Internetrecherche, und tatsächlich, ein anderer Fan hat bereits ein Best Of zusammengeschnitten. Enjoy!

Um aber noch eine Lanze für Nicholas Cage zu brechen: Jedesmal wenn man denkt, diesmal sei der Mann durch, kommt er mit was absolut coolem aus´m Quark. Wie z.B. diesem Original-WTF-Moment hier:

3/11/2010

Die dreibeinigen Herrscher und das Unbehagen einer Generation

Das Unbehagen in der Generation hat, wie ich heute herausfand, vielleicht ganz banale Ursachen. Heute habe ich mich mit zwei Kollegen über eine kleine Macke von mir unterhalten, einen Zustand, mit dem ich mich bis dato alleine wähnte, den aber, wie sich herausstellte, beide Kollegen mit mir teilen. Und nicht nur die; auch weitere, sich spontan einklinkende Zuhörer berichteten über ähnliche Erlebnisse. Worüber ich hier eigentlich rede, ist folgender Effekt: Ein plötzlich einsetzendes, unerklärliches und unangenehmes Gefühl von Unbehagen, manchmal sogar einer schwach-bedrohlichen Präsenz, welches mich seit jeher überkommt beim Anblick von - Windrädern.

Einen vergleichbaren, wenn auch in seiner Intensität abfallenden Effekt haben auch Strommasten, vor allem in der Kolonie,


sowie alle Arten von größeren, alleinstehenden artifiziellen Konstrukten am Horizont.


Ich hatte diesen Effekt längst zu den Akten gelegt als lediglich weiteren Hinweis, dass ich im Grunde übelst einen an der Klatsche habe, und war dementsprechend verblüfft, dass praktisch alle Anwesenden von vergleichbaren Eindrücken berichteten. Doch einer war dabei, der hatte sich nach eigenen Angaben schon mit dieser Thematik beschäftigt und eine einleuchtende Erklärung gefunden:

Der beschriebene Effekt sei ein typischerweise bei Angehörigen der Generation Golf und Generation Kassettenkind anzutreffender Zustand, und dabei nichts geringeres als ein schwaches posttraumatisches Stresssymptom, denn er ließe sich zurückführen auf Verarbeitungsdefizite bei der Rezeption der britischen 80er-Sci-Fi-Serie "Die dreibeinigen Herrscher", die ja tatsächlich so ungefähr jedes Kind dieser Ära begeistert verfolgt hat, es sei denn, die Eltern hatten aus ideologischen Gründen den Fernseher verschrottet.

Diese noch heute legendäre (und unlängst endlich auf DVD erschienene) Serie schilderte nicht nur eine spannende Story, sondern sie erschuf etwas, zumindest für deutsche Kinder dieser Zeit, völlig neues: eine fesselnde Grundstimmung, ein permanentes, bedrohliches Hintergrundrauschen, das sich immer wieder in Gestalt riesiger, dreibeiniger Metallungetüme manifestierte, die allwissend und allsehend am Horizont auftauchten und die kleinen Zuschauer zusammen mit ihren Helden frösteln ließen.



Diese Serie habe, so mein Kollege, einen tiefen Eindruck bei den ihr schutzlos und begeistert ausgelieferten Zuschauern hinterlassen, die bis dato im Kinder-TV nicht schlimmeres zu sehen bekommen hatten als den armen Gockel aus Uhlenbusch, der allwöchentlich unter die Räder kam. Einen Eindruck, der noch heute spür- und empirisch messbar sei. Er habe sogar gelesen, dass es Forschungen dazu gegeben habe. (Natürlich konnte er sich nicht erinnern, wo er das gelesen hatte, wer die Forscher waren, oder wer zum Teufel das wieder finanziert hatte.)

Aber einleuchten tat mir das schon, und auch die anderen Umstehenden waren schnell überzeugt. Das Gefühl war tatsächlich das selbe. Man bräuchte jetzt Kontrollgruppen, eine aus Kindern der Pepe Nietnagel- und eine aus Kindern der Hero Turtles Generation.

3/08/2010

Meine Vermieterin kehrt zurück

Ich hatte schon mehrere wirklich unheimliche Erlebnisse mit meiner Vermieterin. Man denke nur an die schwarze Messe. Oder die Sache mit der Wetterkontrollmaschine. Oder die Sache mit Schäuble. Doch all das lag nun schon Monate, zum Teil Jahre, zurück. Und wie alle schrecklichen, traumatischen Erlebnisse verschwammen auch diese langsam immer mehr zu merkwürdig surrealen Traumbildern. War all das wirklich passiert? Hatte ich wirklich gesehen, was ich gesehen hatte? Ich meine, Voodoo? Eine Wetterkontrollmaschine? Wolfgang Schäuble? Immer mehr dämmerte in mir die Erkenntnis, dass meine Erinnerung mich trügen musste. Dass all das nicht real gewesen sein konnte. Dass ich vielleicht ein ganz anderes Problem hatte.

Bis, ja bis ich gestern beim Ausschütteln meines Eisbärfellkaminvorlegers beobachtete, wie ein schwarzer Van ohne Nummernschilder vorfuhr und zwei Männer in Blaumännern in schwarz - in Schwarzmännern also - ausstiegen. Sie öffneten den Kofferraum und holten eine menschenähnliche, jedoch völlig starre Gestalt heraus, welche sie zur Tür trugen und bei meiner Vermieterin klingelten. Nach etwa 15 Minuten verließen sie die Wohnung wieder - ohne die Gestalt - und fuhren davon.

Ich musste Gewissheit haben. Ging es wieder los? Oder spielte mein Gehirn mir nur einen weiteren Streich? Ich wartete, bis meine Vermieterin das Haus verließ und verschaffte mir mit meinem Peter-Shaw-Gedächtnis-Dietrichset Zugang zu ihrer Wohnung. Im Flur stand die Gestalt. Sie war schlank und trug einen Anzug, doch dort, wo das Gesicht sein sollte, waren nur Kabel und Platinen. Es war ein Cyborg. Ein Cyborg, dem man die Gesichtsschale entfernt hatte. Und er regte sich nicht.

In der Reverstasche steckte ein lieferscheinartiger Zettel, auf dem stand: "Sprachchip defekt. Logik- und Verhaltens-Subroutinen beschädigt. Zurück an die Brutkönigin zur Reperatur oder Replikation."

Brutkönigin?

Ich entdeckte im Nackenbereich einen freigelegten Schalter.

Sprachchip defekt. Verhaltens-Subroutinen beschädigt. Wer ist das?

Auf dem Schalter stand on/off. Ich schaltete auf on. Eine etwas zu schrille, leicht überkandidelte und irgendwie einfach furchtbar unsympathische Stimme tönte aus der eckigen Öffnung im Kabelgeflecht, die normalerweise durch den Mundbereich der Gesichtsschale abgedeckt sein musste:

"Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt´s einen, der die Sache regelt."

Das kam mir bekannt vor.

"Wir können uns auch gerne mal außerhalb einer Pressekonferenz nur zum Tee treffen."

Konnte... konnte das sein?

"Und dann sprechen wir nur Englisch."

Mein Gott.

"Wer anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein."

Ich musste hier raus.

3/07/2010

Rorschach

Letzte Woche hatte sich endlich mal wieder Besuch angemeldet und zwar in Form einer guten Freundin aus Unitagen, aus der Kategorie „Man-sieht-sich-viel-zu-selten-seit-das-wahre-Leben-begonnen-hat“. Wie man schon aus dieser Schubladenkategorie herauslesen kann, verbindet uns nicht nur gegenseitige Sympathie und eine recht bewegte Vergangenheit, sondern auch das Hadern mit dem Erwachsenwerden und eine allgemeine Altersmelancholie. Was in unserem Alter natürlich verdammt prätentiös ist.

Jedenfalls beschloss ich im Vorfeld, die Wohnung noch ein bisschen auf Vordermann zu bringen, und weil es ein ungewöhnlicher Besuch war, hieß das nicht nur Wäsche vom Boden auflesen und Geschirr spülen, sondern – ja was eigentlich? Irgendwas gemütliches fehlt noch, dachte ich. Kurz darauf kam mir beim Einkaufen die Idee: Allenthalben ragten Sonderposten mit Ostersüßkram in die Höhe, das hieß doch, dass es wieder diese coolen Marzipaneier mit Kaffee- und Orangegeschmack gab. Von denen konnte ich ja ein paar auf den Tisch hauen, ich jedenfalls mag sie gern.

Und überhaupt, mein Marzipanproblem. Was für geile Sachen da wieder rumlagen in meinem Plus Netto. Diesmal gab es nicht nur Marzipaneier, sondern auch Marzipanfrüchte. Also diese coolen Marzipanklötze in Fruchtform, die beispielsweise aussehen wie eine Möbelhausbanane oder eine Möbelhausbirne. Ein Hase und ein Marienkäfer waren auch dabei. Die würden sich bestimmt auch gut machen, dachte ich einem Marzipanflash erliegend, und packte sie ebenfalls in meinen Wagen den umsichtig von den letzten vier Schachteln befreiten Haferflockenkarton aus der Nährmittelzeile.

Zu Hause breitete ich die Marzipaneier und die Marzipanfrüchte, und -hasen und –marienkäfer auf dem Tisch aus. Der Marienkäfer sah merkwürdig aus mit seiner zu runden Form und den irgendwie abgewetzten schwarzen Punkten, die mitunter nur noch kleine dunkelrote Erhebungen in der Textur waren. Der Marienkäfer sah gar nicht aus wie ein Marienkäfer. Er sah aus wie ein roter Arsch mit Pickeln.

Wenig später kam mein Besuch und ein entspannter Nachtmittag/Abend begann. Als sich eine kurze Gesprächspause ergab, blickte sie auf einen Marzipanmarienkäfer, drehte für einen Moment gedankenverloren den Kaffeebecher Zentimeter vor ihren Lippen und sagte dann: „Diese Dinger sehen eigentlich gar nicht aus wie Marienkäfer.“

„Stimmt,“ lachte ich.

„Eigentlich“, fuhr sie fort, „sehen sie mehr aus wie Äpfel.“

„Öh...“

„Wie ein schöner roter Apfel, wie der Apfel bei Schneewittchen und die sieben Zwerge, nur dass er auf beiden Seiten so rot ist, und nicht nur auf der vergifteten.“

„Genau,“ sagte ich, „ja, wie... wie bei Schneewittchen und die sieben Zwerge... dachte ich auch.“

 
Terror Alert Level