12/28/2008

Die Bahn

Einer der großen Vorteile, mit dem Studentenleben abgeschlossen zu haben, ist, dass man nicht mehr zwingend auf die Bahn angewiesen ist. So bekam ich vorgestern fast ein nostalgisches Gefühl, als das Hosenkonzert anstand und wir beschlossen, doch einfach mit der Bahn hinzufahren, weil die Hosen so freundlich waren, ihrem Konzertticket ein valides RMV-Ticket beizufügen, das einen auch noch direkt vor die Haustür der Festhalle brachte. Also nahmen wir den Zug.

Die Hinfahrt verlief wunderbar. Aber auf der Rückfahrt wurde ich mal wieder schmerzlich daran erinnert, warum ich Bahnfahren hasse. (Nein, der Zug war pünktlich, warum fragen Sie?) Wir stiegen in den letzten Zug aus Frankfurt und bekamen sogar Sitzplätze. Aber wie es die Viererabteile in voll besetzten Zügen so mit sich bringen, kann man nicht immer ganz unter sich bleiben. Neben mir zum Beispiel saß Marc (möglicherweise auch Mark). Marc war Punk, 15 oder 16, und redete ohne Unterlass. Nicht mit mir oder sonst wem, der bei uns saß, sondern mit seinen Punkkollegen, die sich im Gang drängelten. Denn Marc war mit seiner Clique auf dem Weg nach Berlin, das Wochenendticket nützen.

Im Grunde hörte Marc keiner zu, was insofern problematisch war, dass er einfach lauter und lauter redete - und ich leider zwischen ihm und seinen Adressaten saß. Hatte ich beim Konzert kein Problem gehabt, drohte mir nun ein akuter Tinitus. Aber man will ja nicht immer motzen, also mental die Ohren zugeklappt und versucht, einfach nicht zuzuhören.

Leider waren weder Marc noch seine Kollegen besonders helle. Genau genommen, wären sie noch dümmer gewesen, man hätte sie gießen müssen. Versuchen Sie mal, wegzuhören, wenn ihr Nachbar lautstark jeden Gedanken an rationales Denken durch den Fleischwolf dreht. Gut, alles nicht schlimm. Bis einer von Marcs Kollegen ihm dann doch Aufmerksamkeit widmete und sich vom Gang reinbeugte, um mit Marc irgendwas über die Vorteile von Mayonaise auf Toastbrot auszudiskutieren. Der Kollege kletterte auf die Lehne meines Stuhls, Speichel und ein ziemlich übler Geruch schlugen mir entgegen, und Marc und sein Kollege schrien sich an, während mir die Nieten der Jacke von Marcs Kollegen an der Backe scheuerten.

Ich schubste Marcs Kollegen zurück in den Gang und warnte ihn, sich nochmal über mich zu beugen. Sowohl Marc als auch sein Kollege reagierten relativ eingeschüchtert, jedoch verständnislos.

Dann musste Marc aufs Klo. Nachdem er das lautstark geäußert hatte, schloss er seine Bedenken an, dass es in dem Abteil kein Klo gäbe. Bevor ich ihm widersprechen konnte, monologisierte Marc eine Idee: Er hätte ja ne halb volle Bierflasche in der Hand, die möglicherweise Platz genug böte. "Will vorher noch jemand trinken?" Marc stand auf und begann an seinem Reißverschluss zu nesteln. Ich packte ihn an seiner Jacke und zog ihn zurück in seinen Sitz. Ich klärte ihn darüber auf, was ich mit ihm tun würde, wenn er jetzt in seine Flasche pisst. Völlig verständnislos ließ Marc immerhin von seinem Vorhaben ab und beschloss, bei der nächsten Station schnell mal zur Tür raus zu pinkeln. Die nächste Station kam, Marc ging zur Zugtür. Es klappte nicht. Völlig entnervt kam Marc zurück, eine Hand in seiner schmutziggrauen Unterhose. "Das war viel zu kurz ey! Jetzt muss ich ihn zuhalten bis zur nächsten Station. Woah ey, das presst!" Ich schloss die Augen und ging an meinen Happy Place.

Die nächste Station war unsere. Ich stand noch vor Marc auf. Als wir den Bahnhof verließen, konnte ich nicht anders als zu denken: "Jetzt ist es passiert. Ich gehöre zum Establishment."
 
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