8/29/2010

Expendable Inception

Als großer Filmfreund erlebte ich irgendwann den Knacks. Dieser nicht zeitlich zu verortende Moment, der wahrscheinlich gar kein Moment, sondern eine lange Phase stetiger Rezeption ist, in dem sich eine Gewissheit ins Bewusstsein frisst: Nichts wird mich mehr wirklich flashen, denn alles, was produziert wird, ist letztlich Variation, und wenn man ein genügendes Maß an Variation verschlungen hat, wird ebendiese redundant. Man erkennt die wiederkehrenden Muster und beraubt sich selbst der Faszination des Unerwarteten und gänzlich neuen, die einen als Vierzehnjährigen selbst bei Sachen wie Ghostbusters 2 noch ungläubig augenreibend in die Kinosessel presste und dem Inhalt noch Wochen später jedem, der es so gar nicht hören wollte, im Minutendetail erzählen ließ. Der Knacks war ein trauriger Moment, aber ein scheinbar unvermeidbarer. Die Magie des Kinos war dahin, es blieb nur die Coolness des Moments.

Diese Woche hat sich dieser Knacks von selbst geheilt. Ich war zweimal im Kino und beide unglaublichen Male war es wie beim ersten Mal Kino überhaupt, wenn auch bei beiden Besuchen aus völlig anderen Gründen wie damals beim Fahrradflug aus E.T.

Der erste Film, den ich sah, war „Inception“. Der Grund für den oben beschriebenen Effekt war hier: Dass Sehgewohnheiten und Erwartungen an das, was ein Film leisten kann, so grundlegend zunächst auf den Kopf gestellt und dann überboten wurden, dass man erst vor Glück heulen wollte und dann, danach, die Welt mit anderen Augen sah, in der ständigen Furcht, man würde irgendwann, in einer realweltlichen Situation, plötzlich Edith Piafs „Je ne regrette rien“ hören. Oder dass der Kreisel einfach nicht mehr umkippt. Und so lange das nicht geschah, konnte man sich immer noch fragen, ob Cobb einfach nur von seinem letzten Trip in den Limbo nicht mehr zurückgekehrt war, oder ob die gesamte Geschichte auf einer fünften Ebene spielte und seine Frau, als sie sich aus dem Fenster stürzte, im Grunde recht hatte.

Der zweite Film war „The Expendables“. Der Grund hier: Weil dieser Film eine Einheit zwischen sich und dem Zuschauer, zumindest dem in den 80ern großgewordenen, herstellte, die so verstörend intensiv und gleichzeitig lustig war, dass ich mich im Nachhinein frage, wieso zum Geier so viele Teens da rein gerannt sind und ihn zumindest in den Staaten zu einem derartig großen Erfolg gemacht haben, obwohl die eigentliche Prämisse doch so völlig an ihnen vorbeigegangen sein muss: Nämlich eine Geschichte von und für und über die Anhänger und Akteure des großen, gradlinigen und Tech-freien Actionfilms einer Zeit vor iPhone und Blackberry zu erzählen und gleichzeitig deren Schwanengesang zu inszenieren. Alle alten Recken, von der Botoxruine Stallone bis zum Präsidentenanwärter Schwarzenegger, kleiden hier die Geschichte ihrer Hochzeit und die Notwendigkeit ihres Abstiegs in einen B-Film, der sich selbst noch während der Laufzeit überholt und im Pulverdampf über den Leichenbergen der lächerlich eindimensional Bösen schließlich komplett in der Metaebene verflüchtigt. Sie haben ihre geschundene Fresse und ihre malträtierten Körper buchstäblich für uns respektive ihre Karriere hingehalten und entlassen uns mit einem ultimativ sentimentalen Schulterschluss in eine Zeit, in der wir uns mit billigeren, wenn auch ganz und gar nicht uncoolen TV-Kopien wie Jack Bauer begnügen müssen, während die nächste Generation sich den bei Sonnenlicht diamantglitzernden, metrosexuellen, empathischen Selbstzweiflern widmen darf.

Hoffentlich ruinieren sie es nicht durch zweite Teile. Aber eigentlich glaub ich nicht, dass sie das machen werden.

8/26/2010

Die Vögel

Meine neue Wohnung hat ziemlich große Fenster, die jetzt so ziemlich den ganzen Sommer lang Tag und Nacht offen standen. Ich mag die frische Luft und direkten Kontakt nach draußen, und die paar Insekten mehr im Haus machen mir nichts aus. (Angst habe ich nur vor diesen wirklich dicken, pelzigen Spinnen, die meine ehemalige Vermieterin mir oft in Abwesenheit in die Wohnung setzte, aber damit ist es ja nun vorbei, und von selbst finden die mich hier nicht.) Dafür habe ich seit einer Woche ganz andere Besucher.

Mehrmals bin ich jetzt bereits in die Wohnung gekommen und habe Kohlmeisen dabei erwischt wie sie auf meinem Küchentisch die Krümel aufpickten oder im Wohnzimmer auf der Couch herumhüpften. Gestern hat mir zum ersten Mal eine in die Spüle gekackt.

Das ganze hat eigentlich weniger was von Disney und mehr was von Hitchcock. Ich könnte die Fenster natürlich einfach schließen, aber das will ich irgendwie nicht, so lange noch etwas Sommer ist.

Oder besser gesagt, ich rede mir ein dass ich das nicht will. In Wahrheit habe ich einfach Angst, was die Kohlmeisen wohl machen würden, wenn sie jemand wütend macht.
 
Terror Alert Level