12/23/2010

Päckchenwatch und Capgras

Obwohl ich mich diesmal wirklich frühzeitig gekümmert habe wegen Weihnachtsgeschenken, wird auch diesen Heiligmorgen das passieren, was seit etwa vier Jahren traditionell immer passiert: Ich verbringe den ganzen Vormittag in der Küche und warte darauf dass es klingelt und der DHL-Mann das eine Päckchen bringt, das noch fehlt. Was er bisher in zwei von vier Fällen tat. Es bleibt also spannend. Es gibt aber Grund zum Optimismus, habe ich doch eben gelesen, dass die Post dieses Jahr am 24. Dezember „4000 zusätzliche Paketengel“ aufbietet, die der Masse an Paketsendungen Herr werden sollen. Cool fänd ich ja, wenn sie den Paketengeln auch so gelbe Engelsflügel ankleben, aber viel Hoffnung hab ich da nicht.

Letzte Woche habe ich von einer abgefahrenen, seltenen - aber nicht extrem seltenen - Krankheit gelesen, dem Capgras-Syndrom. Das Capgras-Syndrom ist eine psychiatrische Krankheit, die sich - und das ist das faszinierende - fast variationslos in der immer selben Wahnvorstellung äußert und dabei doch ganz materialistisch einer beschädigten Gehirnregion zuzuschreiben ist. Erkrankte erliegen der Überzeugung, dass ihnen nahestehende Menschen durch Doppelgänger ersetzt wurden. Keine Ahnung, keine Vermutung - eines Tages wissen sie es einfach.

Wie jede gute Wahnvorstellung lebt auch die durch Capgras ausgelöste davon, dass sie nicht logisch widerlegbar ist. Ich meine, wer kann schon wissen dass der Mensch, der da nebenan aufwacht, der oder dieselbe ist, mit der man abends eingeschlafen ist? Wer kann schon beweisen, dass der nette Kollege, der heute die Brötchenbestellung zum ersten Mal seit drei Jahren falsch zusammengestellt hat, wirklich der nette Kollege ist, der noch gestern die korrekte Anzahl von Sesambrötchen, Mohnsternen und Zimtwuppies in der Tüte hatte? Wer kann schon zweifelsfrei feststellen, dass die Eltern, die einen am ersten Weihnachtsfeiertag strahlend begrüßen, dieselben sind, die einem noch drei Wochen zuvor die Hölle heiß gemacht hatten, weil man immer noch keine Winterreifen aufgezogen hatte.

Und irgendwie... je länger ich drüber nachdenke... hatte man nicht eh immer schon so eine Ahnung.... hatten sich zuletzt nicht auffällig viele Leute auffällig stark verändert?

Besser nicht weiter drüber nachdenken. Interessant aber, wie dieses Thema auch in Unkenntnis des Syndroms offensichtlich im kollektiven Unterbewusstsein verankert ist - wobei ich postuliere, dass man den Grad der Verankerung eines Konzepts im kollektiven Unterbewusstsein anhand der Anzahl von dessen Inszenierungen in Kunst und Popkultur messen kann. Man schaue sich zB nur mal Don Siegels Klassiker "Die Dämonischen" an, in der Menschen von außerirdischen Bohnen verschlungen und durch willenlose Duplikate ersetzt werden. Oder die wahrscheinlich beste aller 37 He-Man Kasetten, in der He-Man entführt und durch Skeletors He-Man-Roboter "Faker" ersetzt wird. (Was für eine coole Folge!) Oder die Geschehnisse nach Supermans Tod, als er von gleich vier Doppelgängern beerbt wurde, die Böses im Schilde führten (aber alle einer tragischen Fehleinschätzung der Marketingstrategie des DC Verlags erlagen, die zur Auferstehung Supermans nur wenige Wochen später dank kryptonischer Regenerationsmatrix führte). Oder einfach irgendwas von Kafka.

Das Syndrom schlägt plötzlich zu, es gibt keine längere Phase sich aufbauenden Misstrauens. Wenn Sie also eines Tages das Gefühl haben, dass der DHL-Mann, der da klingelt, gar nicht der DHL-Mann ist, der gestern geklingelt hat - nicht gleich schießen. Vielleicht ist das alles nur in ihrem Kopf. (Es sei denn, es ist einer von den "Paketengeln". Ich denke, dann ist schießen OK.)

 
Terror Alert Level