6/02/2010

Das Ende vom Ende

Nun, da ich mich langsam in meiner neuen Wohnung einrichte und Schritt für Schritt in die Normalität zurückfinde, nun, da mein Provider wieder eine Verbindung hergestellt hat, mag die Zeit gekommen sein, das letzte Kapitel meines Auszugs zu erzählen.

Am Morgen meines Auszugs, die Sonne war gerade aufgegangen, klingelte es an meiner Tür. Es war der sonderbare Mann aus dem OBI. Wortlos, und ohne auf eine Einladung zu warten, trat er ein und schloss die Tür hinter sich. "Es ist an der Zeit", sagte er, "wir müssen schnell handeln. Wann kommen deine Umzugshelfer?" Ich zeigte auf die Bundesliga Uhr von der ARAL und antwortete: "Eigentlich jeden Moment." Ich war längst darüber hinweg, Rückfragen zu stellen. "Gut", erwiderte Obi-Wan, "nun gilt es. Wir haben die Aufmerksamkeit der Zerstörerin durch komplizierte Beschwörungen und das Opfer eines Grauschwanzeichhörnchens abwenden können, aber der Effekt ist nicht von langer Dauer. Der Bund hat mich für den schlimmsten Fall abgesandt, um sie aufzuhalten und dir einen Vorsprung zu verschaffen." Mit diesen Worten nahm er sich eine Bananenkiste und trug sie, noch während der erste Helfer klingelte, zügig die Treppe hinab.

Das Laden des Transporters vollzog sich schnell und ohne Zwischenfälle. Meine Vermieterin, die noch in der Nacht zuvor das Treppenhaus geputzt hatte, ließ sich tatsächlich während des ganzen Vormittags nicht blicken. Schließlich hatten wir den Transporter fast vollständig geladen. Wir standen im Hof. Obi-Wan (ich versuchte mich zu erinnern, wann ich begonnen hatte, ihn so zu nennen) war gerade wieder nach oben gegangen um die letzte Kiste zu holen, da geschah es. Die Wohnungstür meiner Vermieterin flog auf, ein grausiges Heulen ertönte, und sie betrat das Treppenhaus. Obwohl ich im Hof stand, konnte ich sie irgendwie, oben im Treppenhaus, vor mir sehen; auf irgend eine Weise musste sie im Laufe der Jahre eine Art mentale Verbindung zwischen uns errichtet haben, und warum auch nicht, schließlich gehörte ich ihr. Sie sprach nicht; um sie herum tobten Blitze und dunkle Wolken, ihre Augen waren pupillenlos (aus unerfindlichen Gründen beschlich mich ein Gefühl von Déjà Vu, ein Bussard schrie in weiter Ferne und klatschte dann mausetot in den Hof), und der mittelgroße Ficus vor ihrer Tür verlor schlagartig alle Blätter, die kurz um sie herumwirbelten, um sich dann in kleinen, perfekt symmetrisch angeordneten Häufchen auf dem Boden des Flurs zu sammeln.

"Fahrt los! Fahrt! Ich halte sie auf!" schrie Obi-Wan. "Aber die Bananenkiste!" schrie ich aus dem Hof herauf. "Vergiss die verdammte Kiste!" brüllte Obi-Wan zurück, und ich glaubte zu hören, wie er leise anschloss: "Wie konnte der Orden sich nur für diesen Kretin entscheiden." Da hörte ich die durch das perfekt polierte Treppenhaus tausendfach verstärkte Stimme meiner Vermieterin brüllen: "Neeeeeeeeeeein! Er gehört miiiiiiiiiiir! Diesen hier werdet ihr mir nicht neeeeeeeehmen!" Die Umzugshelfer sprangen panisch in den Transporter. Ich zögerte, trat in den Flur des Erdgeschosses, blickte nach oben, versuchte Obi-Wan und meine Vermieterin auszumachen. Ich sah, wie sie ihn umklammerte und ihre urplötzlich gewachsenen Fangzähne in seinen Hals schlug. "Diiiiiiiiiiiesen niiiiiiicht", brüllte sie mit einer grauenhaft verzerrten Stimme. Obi-Wan brach röchelnd zusammen, meine Vermieterin stemmte die Bananenkiste mit den Spider-Man Jahrgängen 96-99 und begann, sie immer wieder auf Obi-Wans Kopf zu schlagen. Sie war stärker als zehn Männer. Ich fasste das Silberkreuz und spurtete in den zweiten Stock hoch, zum Ort des blutigen Kampfes. Ich sah, dass ich zu spät war, dass Obi-Wans Kopf nur noch eine blutige, formlose Masse war. Wut erfüllte mich. Ich packte das Kreuz, stieß es ins Gesicht meiner Vermieterin und schrie: "Michael! Gabriel! Raphael! Ariel!" Nichts geschah. Meine Vermieterin lachte schrill, und Funken stoben aus ihren Augen. Von oben hörte ich mehrere Westerwelle-Cyborgs aus der Wohnung meiner Vermieterin die Treppe hinab strömen. "Uriel, meine ich!" kreischte ich. Das Kreuz erstrahlte in gleißendem Licht. Meine Vermieterin schrie nervenzerfetzend laut auf, ihre Haut warf Blasen, die Fenster des Hauses splitterten aus ihren Rahmen. Schließlich wurde sie leiser und leiser und blieb dann, endlich, reglos liegen. Es war vorbei, schien es.

Ich ging langsam die Treppe hinunter. Alle Helfer hatten es nun eilig. Wir schlossen die Ladetür des Transporters, quetschten uns in die Fahrerkabine und fuhren los. Es war tatsächlich gelungen. Sie war besiegt.

Und dann geschah es. Das Glasbausteinfenster des Treppenhauses explodierte in Höhe der Wohnung meiner Vermieterin und eine grauenerregende Gestalt - sie war es, aber es war nichts menschliches mehr an ihr - schwang sich hinaus ins Tageslicht, in einem Regen aus Westerwelle-Cyborg-Trümmern, breitete ihre Fledermausschwingen aus und landete so zielsicher wie schreiend auf dem Dach des Transporters. Ihre Krallen schlugen sich ins Blech. Sie begann, den Transporter von oben zu öffnen wie eine Büchse Anchovis.

"Das Kreuz, Mann!" schrie einer. Doch es war fort. Ich hatte es im Treppenhaus liegen gelassen. Eine fatale Ruhe überkam mich. Das war´s. Ich hatte verloren. Das Dach wurde weggerissen. Pupillenlose Augen starrten grinsend in die Fahrerkabine hinab. "Diiiiiiiesen niiiiiiiicht", gurgelte sie.

Der Transporter rumpelte mit 120 über einen der nervigen Geschwindigkeitsbegrenzungshügel, die Achse quietschte bedenklich, meine Vermieterin wurde von der Fliehkraft erfasst und weggeschleudert, konnte sich jedoch an der Beifahrertür direkt neben mir festklammern. Sie griff durch das mittlerweile zerstörte Beifahrerfenster und umklammerte bestialisch grinsend meinen Hals. Langsam drückte sie ihn trotz all meiner Gegenwehr zu. Mein Sichtfeld begann sich zu verengen. Es wurde dunkel um mich. Die Stringenz meiner Gedanken zerfaserte in ein graues Nichts. Die Schreie der Helfer rückten in unerreichbare Ferne.

Da, in der Dunkelheit, glaubte ich eine Stimme zu vernehmen. Es war Obi-Wan. "Ein Schweizer Taschenmesser ist ein nützlicher Helfer in allen Lebenslagen." Mit letzter Kraft griff ich in die Tasche meiner Jeans und fühlte den Griff des Schweizer Taschenmessers. Benommen, aber mit der Kraft der Verzweiflung, zog ich es hervor. Die Stimme meiner Vermieterin war keine Stimme mehr, nur noch ein gutturales, unheiliges Triumphgeheul. Die Sonne hatte sich verfinstert. Ich ließ den Flaschenöffner herausklappen.

Ich riss den Arm hoch und stieß zu. Mit einem markerschütternden Schrei ließ meine Vermieterin von meinem Hals ab. Mit ihrem verbliebenen Auge starrte sie mich für einen zur Ewigkeit gedehnten Sekundenbruchteil an, dann verlor sie den Halt an der Tür und stürzte unter die Räder. Es machte dumpf *bump* und gleich darauf noch einmal *bump*. Der Transporter bremste. "Nochmal! Rückwärts!" brüllte irgendjemand. Der Fahrer setzte zurück. *bump* *bump*

Der Wagen kam zum Stillstand. Vor uns lag ein unindentifizierbares, unangenehm breites Bündel auf der Straße. Minutenlang geschah nichts. Dann, plötzlich, brach das Bündel in grellgrüne Flammen aus und verdampfte binnen Sekunden zu einem klebrigen, gelblichen Fleck auf dem Asphalt.

Ruhe überkam mich. Ich wusste, ich hatte es geschafft. Es war endgültig vorbei. Ich war frei.

Ich tippe diese Zeilen am Abend des dritten Junis 2010. Das Ende einer Ära. Mögen sich zukünftige Generationen dessen erinnern.

7 comments:

Anonymous said...

We will keep you in our hearts, mortal.

Ein Kunde said...

Neophrastus, du bist ein Gigant.

Vance Astro said...

danke. aber: neo-fucking-who?

anonymous: kanns natürlich nich wissen, aber ich glaub ich hab mich gefreut.

Ein Kunde said...

Ach kein Ahnung, ich finde als Suffix macht sich "phrastus" einfach gut, konnte ja nicht ahnen, dass du hier so nachbohrst, ahle Sherlock wo de bist. Habs mir von Theophrast geklaut. So. Zufrieden?

Anonymous said...

Nicht ganz. Ist ein Suffix nicht immer einsilbig?
Gnarharharharharharharhar

Schlechter Verlierer said...

Klugscheißende Deutschlehrer. Ganz toll. Und zur Frage: Meine Grammatik ist metaphorisch angelegt :-).

Anonymous said...

Westerwelle-cyborg... Geil;-)

 
Terror Alert Level