9/04/2006

Gespenter Geschichten - Eine Moritat

Vor knapp 30 Jahren ging der Bastei-Verlag mit einer deutschen Comicheftserie an den Start, die innerhalb kürzester Zeit sogar die Auflagenzahl der Micky Maus überholte und für 30 Jahre lang die deutsche Heftchenlandschaft entscheidend mitprägte: Gespenster Geschichten. Jede der wöchentlich erscheinenden Nummern enthielt jeweils 4-5 Kurzgeschichten und ein Bild aus der „Monster Galerie“.



In bester Poe-Manier waren die Helden der Geschichten meist Anti-Helden, die zum Ende hin ihr zumeist verdientes Schicksal ereilte. Nur waren die Geschichten eben nicht von Poe. Auch nicht von irgendeinem anderen halbwegs begabten Schriftsteller. Nein, sie waren Edel-Trash erster Güte, offensichtlich nach dem Prinzip freien Assoziierens geschrieben und vermutlich während der Mittagspause in der Bastei Verlagskantine verfasst.

Eigentlich waren es ja auch gar nicht viele Geschichten, es gab vielmehr eine überschaubare Anzahl von Geschichten-Prototypen, die sich fast identisch immer wieder aufs Neue abspielten.

Typ 1: Der Protagonist begeht einen Mord aus niederen Motiven, doch der Geist des Opfers kehrt zurück und rächt sich blutig.
Typ 2: Der Protagonist schlägt alle Warnungen einer alten Frau / eines verängstigten Eingeborenenstammes / einer geheimnisvollen Hellseherin in den Wind und verschafft sich einen verfluchten Schatz/Schmuckgegenstand/Götzenbild. Daraufhin erscheint ihm ein Geist/Monster/Inkagott und rächt sich blutig.
Typ 3: Der Protagonist rettet eine Jungfrau in Nöten vor einem vermeintlich gefährlichen Monster, um dann festzustellen, dass die JiN sich in das eigentliche Monster verwandelt - vor dem ihn Monster #1 nur warnen wollte - und ihn auffrisst.
Typ 4: Der Protagonist schließt einen Pakt mit einem Geist/Dämon/dem Teufel persönlich, weil er denkt, er könne sich den Konsequenzen durch einen Trick entziehen, stattdessen zieht er aber natürlich die Arschkarte.
Typ 5: Der Protagonist kann mit seiner Freundin einem Vampir/Werwolf/irgendwie geartetem Monster in letzter Sekunde entwischen, muss aber zu Hause feststellen, dass es seine Freundin leider doch erwischt hat, da sie plötzlich als Vampir/Werwolf/IgM vor ihm steht.

Die Vorhersehbarkeit machte die Heftchen aber erst richtig cool. Und dass sie noch übler getextet als gezeichnet waren, fiel einem mit 10 natürlich nicht auf. Beispielsweise machten die Männer immer „AAARGH“, während die Frauen immer „JIIIII“ machten. Die Namen der Protagonisten waren meist Verballhornungen wie „Jack Landon“, „Micky Jagger“, „Jack Frost“ etc. Ausrufe des Entsetzens (neben AAARGH und JIIII) waren ausschließlich „Meiner Treu!“, „Allmächtiger!“ und „Bei allen...“. Außerdem neigten alle Figuren dazu, auch in den gräßlichsten Situationen das gerade Passiernde noch einmal in einem Monolog zu rekapitulieren: „Meiner Treu! Die gallertartige Masse scheint lebendig... sie formt sich zu einer skelettierten Hand... greift nach mir und drückt mir die Kehle zu! Bei allen...!“ Am Ende der Geschichten stand meistens nicht „Ende“ sondern ein kurzer Schriftzug, der schnell zum Kult wurde: „Seltsam? Aber so steht es geschrieben...“ Das allergeilste aber waren immer die markigen Titel. Wenn es in einer Geschichte beispielsweise um ein Ungeheuer ging, das im Sumpf wohnt, dann hieß die Geschichte nicht „Das Ungeheuer aus dem Sumpf“, sondern „Im Bannkreis des Schlamm-Dämons“ oder „Attacke des Unterwasser-Seelenholers“ oder so.

Dieses Jahr jedoch ging es dann schließlich doch zu Ende mit dieser phantastischen Serie. Eigentlich schon im März, ich habe es aber erst dieser Tage mitbekommen, denn selbst ich, der ja noch so einiges liest, war dieser Reihe natürlich seit langem entwachsen. Trotzdem war sie ein bestimmendes Stück kollektiver Kindheitskultur und prägte den Heftchenmarkt, vor allem in den 80ern, mit ihrer ganzen bezaubernd-trashigen Sinn- und Wertlosigkeit sowie der sympathischen, völligen Abwesenheit jedes pädagogischen Gehalts und jeder politischen Korrektheit wie keine andere Serie. Aber irgendwann geht es eben auch mit Untoten zu Ende.

3 comments:

Anonymous said...

Ronny. Hast du alle diese Rezensions-Texte selber geschrieben? Du bist entweder sehr schreibtalentiert oder aber hast sehr viel Zeit, oder beides.

lars_alexander said...

Klasse!

Ich freu mich schon auf Deinen Rezensionen meiner - Bücher ;o)

Anonymous said...

Danke sehr an den Webmaster.

Gruss Elisa

 
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