1/23/2011

Lucy 4

Letzte Woche war ich wieder im Autohaus, um meinen alten Wagen abzugeben und den neuen entgegenzunehmen. Ich fühlte mich etwa zu gleichen Teilen traurig wie vorfreudig, als ich die Ausstellungshalle betrat, an die sich rechts das Büro des Verkäufers anschloss, der tatsächlich Messias hieß. In der Mitte der Präsentationsfläche befand sich ein durch ein riesiges rotes Samttuch verhüllter unbekannter Wagen. "Da hat´s wohl mal wieder einer nötig", dachte ich und freute mich kurz, dass man beim Kauf kleiner Sparautos wenigstens nicht so einen nervigen Verkaufsnippes mitmachen musste. Meinen Justy konnte ich nicht ausmachen, vermutlich parkten sie diese Preisklasse gleich draußen im Schnee.

Im Büro klärten wir kurz die Formalia, wobei der Messias erneut eine unglaubliche Professionalität bewies, als er angesichts der Tatsache, dass ich Fahrzeugbrief und Fahrzeugschein nicht dabei hatte, fast gar nicht genervt guckte und freundlich blieb. Auf mein Versprechen, ihm das ganze Zeug noch zuzusenden, würde ich aber den neuen Wagen trotzdem schon mitnehmen dürfen, erklärte er großzügig, und so führte er mich wieder zurück in die Ausstellungshalle. Wir blieben vor dem mit rotem Samt abgedeckten Wagen stehen. Für einen kurzen Moment war ich absolut sicher, dass der Messias einen Witz machen wollte, und bedauerlicherweise war dieser Moment lang genug um mich sagen zu lassen: "Die Nummer machen Sie jetzt nicht wirklich oder? Das is´ jetzt´n Witz ne? Sie sind so lustig." Verwirrt sortierte sich der Messias einige Sekundenbruchteile und erwiderte dann mit großer Würde: "Doch. Das machen wir so beim Kauf eines Neuwagens." Dann ließ er mit einer ein ganz klein bisschen verunglückten, schwungvollen Bewegung das Samttuch theatralisch in die Höhe schnellen, wo es einen Augenblick verharrte und dann zu Boden stürzte. Wir blickten uns kurz schweigend an. Dann kickte der Verkäufer das Tuch wortlos mit einem Fuß zur Seite, drehte sich geschäftig zu dem Wagen um, öffnete mir die Tür und sagte: "So und jetzt machen wir noch ein Foto von Ihnen und Ihrem neuen Wagen, das wir Ihnen dann in wenigen Tagen als Tasse zuschicken."

Der Abschied von Lucy 3 fiel mir wie erwartet sehr schwer. Als ich vom Gelände fuhr, konnte ich spüren, wie sie mir aus ihren anthropomorphisierten Scheinwerferaugen traurig und enttäuscht nachblickte, aber ich sah nicht zurück.

Natürlich habe ich auch meinen neuen Justy wieder Lucy genannt. Obwohl ich diesmal wirklich kurz gezögert habe. Es gibt ja wirklich Namen, die besser zu "Justy" bzw "Justin" passen. Zum Beispiel "Schantal". Oder "Schackeline".

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