6/28/2010

Practical Angel

Vor zwei Wochen bekam ich, nur tragische anderthalb Kilometer von zu Hause entfernt, einen Platten. Zum Glück hatte ich, und das wird alle die mich kennen überraschen, ein Ersatzrad im Kofferraum. Nachdem selbiges montiert war, nahm ich mir vor, gleich am nächsten Tag ein neues Ersatzrad zu besorgen. Jedoch, und das wird alle die mich kennen kein bisschen überraschen, vergaß ich das gleich wieder.

Heute Morgen dann ist mir auf der Autobahn ein weiterer Reifen geplatzt. (Ehrlich gesagt ist er nicht geplatzt, sondern während der Fahrt langsam eingeplättet, was am Steuerverhalten des Wagens, retrospektiv betrachtet, schon vor der Autobahnauffahrt zu spüren war - aber wer wäre so hummeldumm, trotzdem aufzufahren? Keiner. Also sagen wir mal, er ist plötzlich geplatzt.)

Da stand ich also auf dem Seitenstreifen und hatte kein Ersatzrad dabei. Zum Glück, und das wird alle die mich kennen überraschen, hatte ich ein Warndreieck dabei, um die Pannenstelle abzusichern. Leider, und das wird alle die mich kennen kein bisschen überraschen, hatte ich kein Handy dabei.

Langsam dämmerte mir, in was für eine Situation ich mich da gebracht hatte. Kein Ersatzrad, kein Handy. Auf der Autobahn hält niemand an. Nachvollziehbarerweise.

Also trottete ich los, den Seitenstreifen entlang, mit permanent ausgestrecktem Anhalter-Daumen, aber natürlich bretterten sie alle vorbei. Ich überlegte, wie viele Kilometer ich wohl von der nächsten Ortschaft entfernt sein mochte; ob man mich an meiner Arbeitsstelle wohl schon vermissen würde; und dann, ein Gedanke der sich gemein und hinterrücks in mein Bewusstsein schlängelte, dass ich wohl gerade zu einem dieser mysteriösen Phantomidioten geworden war, die im Radio täglich die Verursacher der allseits bekannten "Auf-der-A-x-befinden-sich-Personen-auf-der-Fahrbahn"-Meldungen sind. Die, bei denen man sich immer fragt, "Was für Vollpfosten sind das eigentlich, die da auf der Autobahn rumrennen".

Und dann das Unglaubliche. Ein alter weißer Nissan Micra setzt den Blinker, entschleunigt, und fährt auf den Seitenstreifen. So fühlt sich ehrliche Dankbarkeit an. Die Fahrerin war eine unglaublich freundliche, auf die 50 zugehende Dame. Man merkte ihr an, dass sie angespannt war, dass dieser Stopp auf der Autobahn etwas mehr als unvorhergesehenes für sie war, etwas, dass sie ein klein bisschen verängstigte, sie verunsicherte, etwas, dass sie lieber nicht getan hätte. Doch nichts davon ließ sie mich spüren; es war ihr ganz offensichtlich ein solches Bedürfnis gewesen, zu helfen, dass sie ihre Bedenken ignoriert und angehalten hatte.

Mit ihrem Handy konnte ich meine Arbeitsstelle und den ADAC-Mann rufen, er kam binnen Minuten. Auch für ihn war ich dankbar, aber nicht ansatzweise so dankbar wie für die Fahrerin des weißen Micras, die ich nicht einmal nach ihrem Namen gefragt hatte und die längst wieder hinter der Kuppe der Autobahn verschwunden war. Ich würde sie im Radio grüßen, aber ich bin mir beinahe sicher, dass sie kein Radio hört.

6/16/2010

Der Epilog vom Ende

Als ich heute morgen meine neue Wohnung verließ, fand ich auf dem Fußabtreter vor meiner Tür einen Brief. Lange Zeit starrte ich ihn einfach nur an, unfähig mich zu bewegen, unfähig zu handeln, unfähig zu denken. Irgendwann aber hatte ich mit übermenschlicher Anstrengung die aufwallende Panikattacke überwunden, hob den Brief auf und starrte auf die handgeschriebene, symmetrisch perfekt austarierte, mit Breitfeder geschriebene Adresszeile, die nur aus meinem Namen bestand. Die Post hatte mit dem Transport dieses Schreibens nichts zu tun gehabt. Kein menschliches Wesen hatte das.

Ich wartete, bis meine Finger nicht mehr zitterten wie ein Jack Russel Terrier bei der Heimkehr seines Herrchens und öffnete den Umschlag. Ich entnahm das perfekt gefaltete Blatt und schlug es auf.

Sie haben möglicherweise bei Ihrem Auszug versehentlich zwei Regalaufhängungen der in der Wohnung installierten Regale eingepackt. Bitte bringen Sie sie zurück. Ich müsste mich sonst selbst darum kümmern, welche zu besorgen.

Ich zerknüllte den Brief und ließ ihn fallen. Als ich ins Auto stieg und das Radio anschaltete, wusste ich, welches Lied laufen würde, noch ehe die Boxen ansprangen.

Tikiesque

In einer Wohnung ohne Möbel zu leben, hat viele Vorteile. Ich finde beispielsweise zur Zeit große Gefallen daran, wie...
- meine Surroundanlage, obwohl nur die billigste Variante der Teufel-Soundsystem-Line, plötzlich wirklich wie im Kino klingt
- ein Feuerzeug nicht *snik* sondern *FUMP* macht
- ich mich der Illusion hingeben kann, ich hätte die Tiki-Küstenmacher-Philosophie für mich wirksam gemacht
- ich endlich eine Ausrede dafür habe, nichts zu finden
- ich den Boden als neue und größte Arbeits- und Ablagefläche entdeckt habe, die jeder Schreibtischauflage spottet
- ich überall kleine rote Kerzen hinstellen und so tun kann als lebte ich in einem Stone Temple Pilots Video
- ich gedanklich jeden Tag zu einer neuen Begrüßung für den IKEA Spediteur inspiriert werde (zB "Godot! Endlich!"), aus denen ich kleine Rankings erstellen kann
- die Wohnung lächerlich groß wirkt

Daraus hätte ich eigentlich eine gute Liste der Woche machen können.

6/11/2010

IKEA hassen und lieben und wieder hassen lernen

Ich hasse IKEA. Das ist immer schon so gewesen, seit meinem ersten Besuch anlässlich meiner ersten WG-Bude, als ich einfach nur einen dieser superbilligen Tische kaufen wollte und mich dazu für einen Samstag entschied - voller Gedränge, knuddeligen designierten Familien und Kevin-möchte-aus-dem-Kinderparadies-abgeholt-werden-Durchsagen. Dementsprechend schob ich den Besuch anlässlich meines erneuten Umzugs möglichst lange vor mir her.

Aber irgendwann musste es eben sein, also stürzte ich vor einigen Tagen schließlich wieder rein in den Schwedenladen, der, wie man hört, mittlerweile fast ausschließlich in China produzieren lässt. Doch diesmal war alles anders. Es war Mittwoch Abend, IKEA praktisch verwaist, ich hatte eine unglaublich entspannte und kompetente Einkaufsberaterin aus meinem Freundeskreis rekrutiert, fand auf Anhieb alles, was ich brauchte, und zog am Ende des Besuchs mein Fazit - IKEA ist schon cool.

Dann aber beging ich den entscheidenden Fehler: Ich war bzgl. eines Möbels (Finden Sie eigentlich auch, dass das Wort "Möbel" über eine inhärente Komik verfügt oder ist das wieder nur in meinem Kopf?) unsicher, und beschloss, nochmal wieder zu kommen und erst dann die Großbestellung aufzugeben. Ich wollte eh liefern lassen, hatte den Einkaufszettel soweit fertig, und mutmaßte, dass der zweite Besuch eine noch entspanntere Blitzvisite werden würde.

Natürlich kam es anders. Für den zweiten Besuch wählte ich - die Mechanismen des IKEA-Horrors noch nicht durchschauend - das Wochenende und fuhr alleine. Im dichtest-denkbaren Gedränge brauchte ich sodann trotz Liste etwa 90 Minuten, um mich einmal durchschleusen zu lassen - nur um dann, beim allerletzten Artikel der Liste, festzustellen, dass ich ebendiese Liste irgendwo liegengelassen hatte und auch nicht mehr finden konnte. Also das ganze von vorn - diesmal dauerte es etwas länger, da mein Gedächtnis erste stressbedingte Aussetzer aufwies.

Nachdem ich also gut drei Stunden nach meiner Ankunft endlich die Kasse passiert hatte, mit einer Transportliste voll schwedischer Möbel in der Tasche und einem fertig montierten Ausstellungsstück auf dem Wagen, die Ohren taub von Kevin-Durchsagen, stellte ich mich am Transportschalter an. Dort wartete ich etwa eine dreiviertel Stunde (während der eine Durchsage ertönte, die eine Kundin aufforderte, zum Infoschalter zu kommen, da ihre verlorene Einkaufsliste gefunden worden sei, was mir für einen Moment der Schwäche die Tränen in die Augen trieb). Als ich dann endlich dran war, informierte mich die Schalterkraft, dass montierte Stücke nicht transportiert werden könnten. Entnervt wollte ich die Scheißkommode "Hemnes" zurückgeben, jedoch - kein Rückgaberecht für Ausstellungsstücke.

Hemnes war zu groß für meinen Wagen. Natürlich nur um wenige Zentimeter, aber eben zu groß. Mir blieb also nichts anderes übrig als das Teil vor Ort in seine Einzelteile zu zerlegen. Nun ist Handwerkliches nicht eben meine Stärke, und so ging eine weitere knappe Stunde drauf, an deren Ende ich mir in der Schalterhalle eine treue Fanbase erarbeitet hatte, die mit guten Ratschlägen und offensichtlicher Belustigung nicht geizte.

Schließlich, nach einem halben Tag, kam ich zu Hause an. Das sollte es jetzt aber gewesen sein; die Möbel (tihi... "Möbel"... haha) würden geliefert werden und die Sache wäre erledigt. (Die Tatsache, dass ich zu Hause bemerkte, dass ich irgendwie die Rückwand von Hemnes hatte bei IKEA liegen lassen, will ich hier nicht weiter ausführen.)

Am Tag des Liefertermins klingelte dann das Telefon. Der IKEA-Spediteur war dran, er wirkte professionell untröstlich und informierte mich, dass die Lieferung heute nicht stattfinden könne - man sei in einen Unfall geraten und der Kollege läge gar im Krankenhaus. Einen neuen Termin könne man nicht geben, ich solle die IKEA Hotline anrufen.

Das Menü der IKEA Hotline ist das nervenzerfetzendste, das ich jemals erlebt habe. Ich brauchte zwanzig Minuten um den Weg zu einem menschlichen Wesen zu finden - eine Mission, die nicht eben erleichtert wurde durch den penetranten schwedischen Akzent der Computerstimme. Entsprechend geladen machte ich mir dann schließlich bei dem Mitarbeiter Luft, der versprach, sich sofort drum zu kümmern und mich zurückzurufen. Nichts geschah. Eine Stunde später rief ich wieder an, kämpfte mich wie Hänsel und Gretel den Brotkrumen entlang in rekordverdächtigen fünf Minuten durchs Menü und hatte diesmal eine weibliche Mitarbeiterin an der Strippe. Nach einigen Angaben meinerseits rief sie den Bericht des ersten Gesprächs an ihrem Rechner auf, wobei sie, wie manche Leute das eben tun, das, was sie las, leise mitmurmelte: "Kunde aufgebracht wegen gescheiterter Lieferung... braucht die Möbel zum Wochenende... {unverständlich} ... die übliche Eskalation..." - "Die übliche Eskalation??" warf ich eine Spur zu scharf ein. Die Mitarbeiterin zögerte kurz und erwiderte dann: "Äh, was? Äh nein... nein... ich lese nur gerade... äh... also der Kollege hat hier jedenfalls kein Rückrufprotokoll eingeloggt. Bestimmt ein Fehler, entschuldigen Sie bitte", sagte sie in dem Tonfall, in dem eine Pflegerin einen randalierenden Psychotiker zu beruhigen versuchen würde. Ich war kurz davor "Ich will meine Möbel" oder etwas vergleichbar hysterisch-lächerliches zu schreien, vielleicht sogar ein grenzdebiles "Oder das wird Folgen haben", jedoch kam sie mir zuvor und erklärte, sie werde sich sofort darum kümmern und mich zurückrufen. Sie ließ sich meine Festnetznummer geben und meine Handynummer und rief nie mehr zurück.

Heute schließlich meldete sich ein weiterer IKEA Mitarbeiter bei mir und nannte mir den neuen Liefertermin. In einer Woche.

Im Grunde ist es jetzt aber auch egal, denn ich habe mein Bananenkisten-System mittlerweile perfektioniert. Eigentlich überlege ich sogar, ob ich die Möbel überhaupt noch brauche. OK, ein Bett wär schon schön.


6/02/2010

Das Ende vom Ende

Nun, da ich mich langsam in meiner neuen Wohnung einrichte und Schritt für Schritt in die Normalität zurückfinde, nun, da mein Provider wieder eine Verbindung hergestellt hat, mag die Zeit gekommen sein, das letzte Kapitel meines Auszugs zu erzählen.

Am Morgen meines Auszugs, die Sonne war gerade aufgegangen, klingelte es an meiner Tür. Es war der sonderbare Mann aus dem OBI. Wortlos, und ohne auf eine Einladung zu warten, trat er ein und schloss die Tür hinter sich. "Es ist an der Zeit", sagte er, "wir müssen schnell handeln. Wann kommen deine Umzugshelfer?" Ich zeigte auf die Bundesliga Uhr von der ARAL und antwortete: "Eigentlich jeden Moment." Ich war längst darüber hinweg, Rückfragen zu stellen. "Gut", erwiderte Obi-Wan, "nun gilt es. Wir haben die Aufmerksamkeit der Zerstörerin durch komplizierte Beschwörungen und das Opfer eines Grauschwanzeichhörnchens abwenden können, aber der Effekt ist nicht von langer Dauer. Der Bund hat mich für den schlimmsten Fall abgesandt, um sie aufzuhalten und dir einen Vorsprung zu verschaffen." Mit diesen Worten nahm er sich eine Bananenkiste und trug sie, noch während der erste Helfer klingelte, zügig die Treppe hinab.

Das Laden des Transporters vollzog sich schnell und ohne Zwischenfälle. Meine Vermieterin, die noch in der Nacht zuvor das Treppenhaus geputzt hatte, ließ sich tatsächlich während des ganzen Vormittags nicht blicken. Schließlich hatten wir den Transporter fast vollständig geladen. Wir standen im Hof. Obi-Wan (ich versuchte mich zu erinnern, wann ich begonnen hatte, ihn so zu nennen) war gerade wieder nach oben gegangen um die letzte Kiste zu holen, da geschah es. Die Wohnungstür meiner Vermieterin flog auf, ein grausiges Heulen ertönte, und sie betrat das Treppenhaus. Obwohl ich im Hof stand, konnte ich sie irgendwie, oben im Treppenhaus, vor mir sehen; auf irgend eine Weise musste sie im Laufe der Jahre eine Art mentale Verbindung zwischen uns errichtet haben, und warum auch nicht, schließlich gehörte ich ihr. Sie sprach nicht; um sie herum tobten Blitze und dunkle Wolken, ihre Augen waren pupillenlos (aus unerfindlichen Gründen beschlich mich ein Gefühl von Déjà Vu, ein Bussard schrie in weiter Ferne und klatschte dann mausetot in den Hof), und der mittelgroße Ficus vor ihrer Tür verlor schlagartig alle Blätter, die kurz um sie herumwirbelten, um sich dann in kleinen, perfekt symmetrisch angeordneten Häufchen auf dem Boden des Flurs zu sammeln.

"Fahrt los! Fahrt! Ich halte sie auf!" schrie Obi-Wan. "Aber die Bananenkiste!" schrie ich aus dem Hof herauf. "Vergiss die verdammte Kiste!" brüllte Obi-Wan zurück, und ich glaubte zu hören, wie er leise anschloss: "Wie konnte der Orden sich nur für diesen Kretin entscheiden." Da hörte ich die durch das perfekt polierte Treppenhaus tausendfach verstärkte Stimme meiner Vermieterin brüllen: "Neeeeeeeeeeein! Er gehört miiiiiiiiiiir! Diesen hier werdet ihr mir nicht neeeeeeeehmen!" Die Umzugshelfer sprangen panisch in den Transporter. Ich zögerte, trat in den Flur des Erdgeschosses, blickte nach oben, versuchte Obi-Wan und meine Vermieterin auszumachen. Ich sah, wie sie ihn umklammerte und ihre urplötzlich gewachsenen Fangzähne in seinen Hals schlug. "Diiiiiiiiiiiesen niiiiiiicht", brüllte sie mit einer grauenhaft verzerrten Stimme. Obi-Wan brach röchelnd zusammen, meine Vermieterin stemmte die Bananenkiste mit den Spider-Man Jahrgängen 96-99 und begann, sie immer wieder auf Obi-Wans Kopf zu schlagen. Sie war stärker als zehn Männer. Ich fasste das Silberkreuz und spurtete in den zweiten Stock hoch, zum Ort des blutigen Kampfes. Ich sah, dass ich zu spät war, dass Obi-Wans Kopf nur noch eine blutige, formlose Masse war. Wut erfüllte mich. Ich packte das Kreuz, stieß es ins Gesicht meiner Vermieterin und schrie: "Michael! Gabriel! Raphael! Ariel!" Nichts geschah. Meine Vermieterin lachte schrill, und Funken stoben aus ihren Augen. Von oben hörte ich mehrere Westerwelle-Cyborgs aus der Wohnung meiner Vermieterin die Treppe hinab strömen. "Uriel, meine ich!" kreischte ich. Das Kreuz erstrahlte in gleißendem Licht. Meine Vermieterin schrie nervenzerfetzend laut auf, ihre Haut warf Blasen, die Fenster des Hauses splitterten aus ihren Rahmen. Schließlich wurde sie leiser und leiser und blieb dann, endlich, reglos liegen. Es war vorbei, schien es.

Ich ging langsam die Treppe hinunter. Alle Helfer hatten es nun eilig. Wir schlossen die Ladetür des Transporters, quetschten uns in die Fahrerkabine und fuhren los. Es war tatsächlich gelungen. Sie war besiegt.

Und dann geschah es. Das Glasbausteinfenster des Treppenhauses explodierte in Höhe der Wohnung meiner Vermieterin und eine grauenerregende Gestalt - sie war es, aber es war nichts menschliches mehr an ihr - schwang sich hinaus ins Tageslicht, in einem Regen aus Westerwelle-Cyborg-Trümmern, breitete ihre Fledermausschwingen aus und landete so zielsicher wie schreiend auf dem Dach des Transporters. Ihre Krallen schlugen sich ins Blech. Sie begann, den Transporter von oben zu öffnen wie eine Büchse Anchovis.

"Das Kreuz, Mann!" schrie einer. Doch es war fort. Ich hatte es im Treppenhaus liegen gelassen. Eine fatale Ruhe überkam mich. Das war´s. Ich hatte verloren. Das Dach wurde weggerissen. Pupillenlose Augen starrten grinsend in die Fahrerkabine hinab. "Diiiiiiiesen niiiiiiiicht", gurgelte sie.

Der Transporter rumpelte mit 120 über einen der nervigen Geschwindigkeitsbegrenzungshügel, die Achse quietschte bedenklich, meine Vermieterin wurde von der Fliehkraft erfasst und weggeschleudert, konnte sich jedoch an der Beifahrertür direkt neben mir festklammern. Sie griff durch das mittlerweile zerstörte Beifahrerfenster und umklammerte bestialisch grinsend meinen Hals. Langsam drückte sie ihn trotz all meiner Gegenwehr zu. Mein Sichtfeld begann sich zu verengen. Es wurde dunkel um mich. Die Stringenz meiner Gedanken zerfaserte in ein graues Nichts. Die Schreie der Helfer rückten in unerreichbare Ferne.

Da, in der Dunkelheit, glaubte ich eine Stimme zu vernehmen. Es war Obi-Wan. "Ein Schweizer Taschenmesser ist ein nützlicher Helfer in allen Lebenslagen." Mit letzter Kraft griff ich in die Tasche meiner Jeans und fühlte den Griff des Schweizer Taschenmessers. Benommen, aber mit der Kraft der Verzweiflung, zog ich es hervor. Die Stimme meiner Vermieterin war keine Stimme mehr, nur noch ein gutturales, unheiliges Triumphgeheul. Die Sonne hatte sich verfinstert. Ich ließ den Flaschenöffner herausklappen.

Ich riss den Arm hoch und stieß zu. Mit einem markerschütternden Schrei ließ meine Vermieterin von meinem Hals ab. Mit ihrem verbliebenen Auge starrte sie mich für einen zur Ewigkeit gedehnten Sekundenbruchteil an, dann verlor sie den Halt an der Tür und stürzte unter die Räder. Es machte dumpf *bump* und gleich darauf noch einmal *bump*. Der Transporter bremste. "Nochmal! Rückwärts!" brüllte irgendjemand. Der Fahrer setzte zurück. *bump* *bump*

Der Wagen kam zum Stillstand. Vor uns lag ein unindentifizierbares, unangenehm breites Bündel auf der Straße. Minutenlang geschah nichts. Dann, plötzlich, brach das Bündel in grellgrüne Flammen aus und verdampfte binnen Sekunden zu einem klebrigen, gelblichen Fleck auf dem Asphalt.

Ruhe überkam mich. Ich wusste, ich hatte es geschafft. Es war endgültig vorbei. Ich war frei.

Ich tippe diese Zeilen am Abend des dritten Junis 2010. Das Ende einer Ära. Mögen sich zukünftige Generationen dessen erinnern.
 
Terror Alert Level